Wiener Schweigen
Entdeckung erfuhr.
Als sie den Kalbstafelspitz kurz anbriet, fragte sie sich, ob die Buchstabenfolge » R (b). O.S.A (l). E (u)« nicht doch ein ungemein großer Zufall war und nichts mit ihr zu tun hatte. Sie hatte sich so sehr gewünscht, einen Hinweis zu finden, dass sie vielleicht zu viel in ihre Entdeckung hineininterpretiert hatte.
Während das Fleisch in Alufolie ruhte, trat Rosa kurz auf die Terrasse und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Draußen wehte kein einziger Luftzug, erschöpft ließen die Sträucher ihre Zweige hängen. Vom Westen zog eine dunkle Wolkenbank auf den Sellnersee zu.
Sie trat wieder ins Haus und begann, den Kalbstafelspitz dünn aufzuschneiden. Nachdem sie das Fleisch auf drei große Aluplatten aufgelegt hatte, übergoss sie es mit der Thunfischsoße und garnierte es mit großen Kapernbeeren. Als sie die Platten mit Klarsichtfolie bedeckte, um sie im Keller kalt zu stellen, fragte sie sich, ob sie Liebhart nicht doch von der Geschichte erzählen sollte.
Beim Gedanken an ihn fiel ihr das Tagebuch von Andrzej ein. Sie beschloss, es heute noch zu lesen.
Als sie die Küche aufgeräumt hatte, stellte Rosa sich lange unter die Dusche. Dabei kam sie zu dem Entschluss, die Sache mit Pauls Notiz jetzt erst einmal ruhen zu lassen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie die Abkürzung deuten sollte, und je länger sie darüber grübelte, desto stärker wurde das Gefühl, in eine Sackgasse geraten zu sein, aus der sie so schnell wie möglich wieder herauswollte.
Du solltest die Perspektive ändern, dachte sie, als sie aus der Dusche stieg.
Die Wolkenbank kam langsam näher, eine leichte Brise strich vom Wald her durch Rosas Garten, als sie auf die Terrasse trat. Sie ließ sich mit dem Tagebuch von Andrzej Zieliński in die Hängematte fallen und begann zu lesen:
Die Menschen hier sind sehr misstrauisch …
10
In der Nacht hatte es geregnet, die drückende Schwüle hatte sich in einem heftigen Gewitter entladen. Rosa wachte vom Donner auf, als es noch dunkel war. Die Katze hatte sich unter dem Bett verkrochen.
Sie konnte nicht mehr schlafen und begann, Früchte für die Bowle zu schneiden, die sie für das Fest im Flüchtlingsheim versprochen hatte. In der Küche stellte sie das Radio an und goss Wasser in ihre Espressokanne. Als es dämmerte, hatte sie schon drei Kilo Fruchtfleisch zerkleinert. Sie schenkte sich noch einen Kaffee ein und ließ eine Zimtstange in die heiße Tasse gleiten.
In den Nachrichten kam die Meldung, dass die Polizei gestern Nachmittag in Wien eine Bande von Autodieben hatte dingfest machen können. Rosa stellte das Radio ab, wickelte sich in eine Decke und genoss auf ihrer Terrasse den Sonnenaufgang.
Der Garten und das Umland dampften vom Regen. Unter den tief hängenden Ästen der Buche sah sie das Tal, die Hügel und die Lichter des Dorfes aufblitzen. Vereinzelt hingen noch Dunstfetzen in den Senken. Mit der Sonne kam auch die Wärme der letzten Tage zurück.
Rosa hatte gestern das Tagebuch von Andrzej Zieliński gelesen und danach vergeblich versucht, Liebhart zu erreichen, da sie etwas Wichtiges entdeckt hatte. Nun beschloss sie, es noch einmal zu versuchen.
Sein Mobiltelefon war abgedreht, und Frau Grand genoss es, Rosa jede Auskunft zu verweigern.
»Der Herr Chefinspektor ist seit halb acht in einer Sitzung, er wird sich bei Ihnen melden.«
Rosa war klar, dass Liebhart, nachdem er gestern die Autodiebe geschnappt hatte, heute schwer zu erreichen sein würde. Da sie nicht sicher war, was sie nun tun sollte, kaute sie ungeduldig an ihren Fingernägeln.
Die Vorbereitungen für das Frühlingsfest waren erledigt, und so beschloss sie, zum See hinunterzuradeln, um eine Runde zu schwimmen. Danach würde sie nach Wien ins Bezirksmuseum Döbling fahren. Vielleicht fand sie ja noch etwas heraus, das sie Liebhart, der ebenfalls zum Frühlingsfest kommen würde, berichten konnte.
Der Grund des Sees war vom Regen aufgewühlt. In der glatten Wasseroberfläche spiegelten sich der blaue Himmel und vereinzelte Wolkenfetzen. Rosa teilte mit ihren Schwimmbewegungen langsam dieses Bild; sie hatte das Gefühl, dass sie im Himmel schwimmen und die Wolken einfach beiseiteschieben würde. Der Kirchturm am anderen Ende des Sellnersees verschwand, dann tauchte er wieder auf.
Sie hatte das gegenüberliegende Ufer bald erreicht und schwamm zügig zurück. Als sie den Steg mit ihrem bunten Handtuch darauf wiedererkennen konnte, sah sie eine Gestalt, die in Jean und leichtem
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