Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Strohschein
Vom Netzwerk:
angeschickert, dachte sie.
    Die Musik wurde vom lauten Zirpen der Zikaden untermalt. Eine kühle Brise vertrieb die Hitze des Tages, die sich im Hof gesammelt hatte, und bauschte die bunten Sommerkleider der Damen. Auch Rosas hellgrünes Kleid hob sich ganz leicht, als sie aufstand, um sich noch ein Glas Bowle zu holen.

11
    In den frühen Morgenstunden hatte es so stark geregnet, dass die Zweige der Sträucher geknickt zu Boden hingen. Rosa lag wach und hörte dem Regen zu, wie er auf das Dach trommelte. Sie mochte Sonntage nicht besonders; die Straßen waren wie leer gefegt, und über das Tal legte sich nach der Arbeitswoche eine bleierne Schwere.
    Untertags versuchte sie mehrmals, Liebhart zu erreichen, da sie schließlich für heute verabredet hatten, die Familien aufzusuchen, bei denen Andrzej vor seinem Tod gewesen war.
    Er hob nicht ab. Der Fall der Autodiebe dürfte ihn doch noch mehr in Beschlag nehmen, als er gestern vorhergesehen hat, dachte Rosa und beschloss, am Abend ins Kahlenbergerdorf zu fahren. Wenn sie schon mit der Botschaft, die Paul ihr hinterlassen hatte, nicht weiterkam, wollte sie wenigstens versuchen, Licht in die Mordfälle Friedrich Kobald und Andrzej Zieliński zu bringen. Die Heurigen waren an einem trüben Sonntagnachmittag, wenn das Wetter zu unsicher für eine Wanderung zu den Wiener Hausbergen war, sicher spärlich und nur von ein paar Einheimischen besucht. Rosa wollte ihr Glück versuchen, vielleicht konnte sie ja etwas Interessantes in dem ein oder anderen Gespräch aufschnappen.
    Als sie im Dorf eintraf, ging die Sonne hinter dem Leopoldsberg unter, und der Abend senkte sich herab. In der Dämmerung zog der Nebel vom Donaukanal in den alten Ortskern und in die Hinterhöfe, in denen Leintücher an Wäscheleinen trockneten. Die Langeweile des Feierabends lag in den Gassen und um die mit Geißblatt bewachsenen Mauern.
    Vor dem Weingut Taschler irrte ein winziger, staubiger Rauhaardackel umher. Rosa ging langsam auf ihn zu, doch er flüchtete über ein paar Stufen in den kleinen, rasenbewachsenen Hof der Kirche.
    Sie folgte ihm, ihr Blick fiel auf das weinselige Gesicht einer Statue. »Gundakar von Thernberg, der Pfaff vom Kahlenberg, 1300–1349, Geistlicher Spassmacher am Hofe Herzog Ottos des Fröhlichen«, stand auf einer efeuumrankten Steinplatte geschrieben.
    Rosa hörte den Hund wimmern und ging langsam um die Kirche herum, an deren südöstlicher Seite ein paar Gedenktafeln für Verstorbene angebracht waren, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreichten.
    Der Dackel hatte sich zwischen ein paar niederen Büschen, die unter einer Tafel zum Gedenken an die gefallenen Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg wuchsen, verkrochen. Als Rosa in die Hocke ging, flitzte er an ihr vorbei Richtung Ausgang. Sie gab die Jagd auf und betrachtete noch ein wenig das Relief, das eine Muttergottes mit ihrem Kind im Arm zeigte. Es erinnerte sie an Andrzejs Ikone. Sie blieb stehen und überlegte, ob das ein Zufall war.
    Noch in Gedanken stieg sie wenig später ein paar Stufen zu einem Heurigen in der Bloschgasse hinab. Sie ging durch ein dunkles Lokal, wo an einem Stammtisch ein paar Männer saßen, die sie schweigend musterten. Der Wirt stand hinter einer Schank, die aus einer alten Weinpresse getischlert worden war.
    Rosa durchquerte einen fast leeren Gastraum und warf einen Blick in den kleinen Hof, in dem ein paar Bänke standen; dort war niemand zu sehen, und so kehrte sie in den Schankraum zurück.
    Da das Kahlenbergerdorf zum Leopoldsberg hin stark anstieg, waren die Innenhöfe der Heurigen terrassenförmig angelegt. In Grinzing und in den anderen Lokalen in der Umgebung von Wien kam man unter Bäumen mit weit ausladenden Kronen über kiesbedeckten Wegen mit steigendem Alkoholspiegel dem »goldenen Wiener Herzen« deutlich näher; die verbauten, engen Höfe im Kahlenbergerdorf hatten die Atmosphäre einer Tuba, in deren Trichter das Grölen der Gäste verstärkt wurde.
    Rosa hatte immer Mitleid mit den Kellnerinnen, die die schwer beladenen Tabletts über zahlreiche Stufen tragen mussten.
    Sie nahm an einem der dunklen Holztische mit abgewetzten Bänken in der Nähe der Schank Platz und bestellte ein Achtel Gewürztraminer und eine Salzbrezel. Rosa ließ sie nach dem ersten Bissen liegen, sie war hart und schmeckte nach Zigarettenrauch. Offensichtlich hatte sie schon länger an dem hölzernen Stock, der auf der Theke stand, gehangen. Die Tischplatte klebte vom rasch aufgewischten Wein an ihren

Weitere Kostenlose Bücher