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Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Strohschein
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Theke.
    Die Runde begann schweigend zu spielen. Rosa wartete noch eine Weile. Als sie sich sicher war, dass aus den Leuten nichts mehr herauszukriegen war, bezahlte sie und verließ den Heurigen.
    Der herrenlose Dackel hatte sich in die Ecke eines Haustores zurückgezogen. Sie ging auf ihn zu, doch als er merkte, dass sich ihm jemand näherte, sprang er auf und eilte mit eingeklemmtem Schwanz und tief gesenktem Kopf ein paar Meter weg. Dann drehte er sich um und sah sie angsterfüllt an. Sie versuchte es noch einmal, machte ein paar Schritte in seine Richtung, ging in die Hocke und wollte ihn mit leiser Stimme zu sich locken. Doch der Hund wich wieder vor ihr zurück. Rosa stand auf und betrachtete voll Mitleid das arme, halb verhungerte Tier.
    »Du bist genauso wie die Leute hier«, stellte sie fest, »hast vor irgendetwas Angst und willst dir nicht helfen lassen!« Schweren Herzens ging sie zu ihrem Auto.
    Als sie zu Hause die Tür aufsperrte, war es schon dunkel. Sie roch an ihren Kleidern und in den Haaren den schalen Geruch des Heurigen und stieg in den ersten Stock, um ein Bad zu nehmen.
    Johanna stellte aus den wild wuchernden Rosen in ihrem Garten Rosenöl her, und Rosa tröpfelte nun ein wenig davon in ihr Badewasser. Nach zehn Minuten in der warmen Wanne merkte sie, wie sich ihre Muskeln entspannten.
    Ihre Gedanken wanderten zum Kahlenbergerdorf. Sie erinnerte sich an den imposanten frei stehenden späthistorischen Bau in der Bloschgasse, nahe der Stelle, an der sie am Tag des Murenabgangs ihr Auto geparkt hatte. Der gelbe Verputz der Fassade war großflächig abgefallen, die dunkelgrün gerahmten Fenster waren schmutzig und manche eingeschlagen. Der niedrigen Holzeingangstür hatte die Vernachlässigung eine gewisse Patina verliehen. Der Bau wirkte, als würde er schlafen, bis man willens war, ihm genügend Aufmerksamkeit zu schenken. Der einzige Eingang zu dieser riesigen Schönheit im Kern des Dorfes hatte auf sie den Eindruck gemacht, das geschlossene Auge des Hauses zu sein, das nur darauf wartete, geweckt zu werden.
    Und so war es mit mehreren Gebäuden im Dorf.
    Sie knetete ihre noch immer verspannten Schultern und dachte an die Muttergottes im Hof der Kirche.
    Wieso hat Andrzej die Dorfbewohner über den Ersten Weltkrieg befragt?, überlegte Rosa.
    Als sie aus der Wanne stieg, hätte sie sich beinahe an dem kaputten Haltegriff hochgezogen, hielt jedoch gerade noch rechtzeitig inne, denn ihr Gewicht hätte ihn sicher vollends herausgerissen. Rosa begutachtete die Dübel, die nur noch sehr locker im Mauerwerk steckten, und beschloss, den Griff morgen endlich zu reparieren.
    Als sie im Bademantel ins Erdgeschoss hinunterstieg, knurrte ihr der Magen. Im Eiskasten waren noch eingelegtes Gemüse und ein in Wachspapier eingewickelter Cheddar. Die süßen Feigen aus dem Delikatessenladen würden sehr gut zum Käse passen. Sie hatte Lust auf ein Glas Wein und stieg in ihren Keller. Hier roch es angenehm nach Äpfeln, und sie entschied sich für einen Gewürztraminer aus dem Elsass. Ein kräftiger Weißwein, der dem würzigen Käse standhalten konnte.
    Auf der Terrasse wehte ein kräftiger Wind; er stieß in den Kamin, dass es Ascheteilchen ins Zimmer blies. Rosa entschied, im Wohnzimmer zu essen. Die Katze legte sich zu ihr und begann heftig zu schnurren; ihr dunkles Fell erinnerte Rosa an das Haar von Daniel Mühlböck.
    Sie wickelte sich in eine Decke und nahm auf dem Sofa Platz. Der Käse war etwas zu kalt. Sie fand ihn trotzdem ausgezeichnet und klaubte die kleinen Würfel mit den Fingern vom Teller. Das Gemüse schmeckte zart nach Knoblauch. Als sie einen Schluck Wein nahm, kam ihr die Meldung vom jungen Robert über die beiden Weltkriege in den Sinn. Sie ließ den Gewürztraminer langsam im Mund kreisen.
    »Kriegsbeute«, sagte sie zu sich, als sie an das Brustkreuz und die Ikone dachte. »›Unsre Seelen sind verloren, zu Michaeli hat mit uns im Kahlenbergerdorf der Teufel getanzt. Anno Domini 1919.‹ Es geht um Kriegsbeute! Wie kann ich Liebhart von dieser Entdeckung berichten, ohne ihm meinen Alleingang zu beichten?«
    Rosa lauschte dem Wind, der ins Tal fiel und durch die Gassen stob, sodass auf den alten Wäscheleinen die verlassenen Wäscheklammern tanzten.
    In der Morgendämmerung läutete das Telefon.
    Rosa schälte sich aus ihren Polstern und griff nach dem Hörer.
    »Wir haben Bissspuren an den Knochen gefunden«, begann Liebhart.
    »An welchen Knochen habt ihr Bissspuren gefunden?«,

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