Wiener Schweigen
»Dafür sprechen noch mehr Indizien, wie zum Beispiel die geschmolzenen Kupferkabel am Boden.« Er wies auf eine Stelle am ehemaligen Wohnzimmerboden. »Der Schmelzpunkt von Kupfer liegt bei elfhundert Grad. Das Feuer muss also noch heißer gewesen sein. Derart hohe Temperaturen lassen eindeutig auf den Einsatz eines Brandbeschleunigers schließen. Ansonsten hätte das Feuer nur circa neunhundert Grad erreicht.«
»Kann man auf chemischem Wege jetzt noch herausfinden, welcher Brandbeschleuniger verwendet worden ist?«, wollte Liebhart wissen. »Ich möchte Frau Zehetmair exhumieren lassen, dafür brauche ich eine richterliche Verfügung. Ich weiß zwar jetzt schon, dass alles, was du gesagt hast, zutrifft, aber Richter interessieren sich heutzutage nur noch für forensische Analysen.«
Schurrauer nickte und rieb sich das Kinn. »Die Stoffe werden zum Teil von verkohltem Holz aufgesogen oder versickern in die Bodenfugen, wo sie wegen Sauerstoffmangels meist nicht verbrennen. Ein Fachmann kann mit einer guten Nase kurz nach dem Löschen solche Brandherde ausmachen. Das funktioniert aber nicht bei geruchsfreien Verdünnern und anderen geruchlosen Flüssigkeiten. Abgesehen davon ist jetzt schon zu viel Zeit vergangen. Es gibt auch zuverlässigere Tests. Einer der ältesten ist das Pulver Petrobst oder Rhodakit, mit dem man Oberflächen einstäubt, die eventuell leicht entzündbare Kohlenstoffe enthalten haben.«
»Jetzt wird es mir zu technisch«, unterbrach ihn Liebhart.
»Entschuldige.« Schurrauer schien wieder in die Realität der Laien zurückzukehren. »Wir versuchen es mit einem Gas-Chromatografen und verbinden ihn mit einem Massenspektrometer. Aber auch ohne das Gerät kann ich euch jetzt schon sagen, welches Material als Brandbeschleuniger eingesetzt worden ist.«
Liebhart und Rosa sahen ihn erstaunt an.
»Benzin, denn es verbrennt mit einer gelben bis weißen Flamme, und die Farbe des Rauches ist Schwarz!«
Liebhart klappte sein Telefon auf und beantragte einen richterlichen Beschluss zur Exhumierung von Frau Zehetmair.
Danach zogen er und Rosa los, um mit der Befragung der Bauern, die Andrzej Zieliński besucht hatte, zu beginnen. Schurrauer ließen sie beim ausgebrannten Haus zurück. Dem war es nur recht, denn er untersuchte die Trümmer ohnehin lieber nach weiteren Spuren.
Alois Setzensberger war groß und dünn, seine Augen waren blutunterlaufen und seine Wangen dunkel vom Schatten eines nachwachsenden Bartes. Violette Äderchen überzogen die Nase, und seine Oberlippe schmückte ein kleiner abstehender Schnauzbart. An seinem langen Hals stand der Adamsapfel weit vor.
Nahe der kleinen Weingartenhütte brannte ein Feuer. Setzensberger packte ein paar vertrocknete Rebstöcke und warf sie in die Flammen, dass die Funken stoben.
Rosa beobachtete den Rauchfaden, der sich von der Feuerstelle erhob. So wie er ihnen zwischen den Riedreihen entgegengestiegen war, erinnerte der Bauer sie an einen sehr großen Storch. Und als sich Setzensberger auf einen Sessel fallen ließ und seine Füße auf dessen Sprosse stellte, sah er erst recht wie ein großer Vogel auf einer Stange aus.
Unter dem schmalen Dachvorsprung der Weingartenhütte stand ein kleiner wachstuchbedeckter Küchentisch mit sechs Sesseln, deren Sitze durchgescheuert waren. Auf dem Tisch sah Rosa speckige Gläser und einen Steinkrug, der wahrscheinlich sauren Most enthielt. Bei der Hüttenwand lag eine schmutzige gesteppte Decke, auf der ein Kind mit Downsyndrom saß. Rotz rann ihm aus der Nase. Wenn es den Kopf hob, um in die Sonne zu sehen, begann es zu lachen, und Speichel tropfte ihm aus dem Mundwinkel.
Vom Weingarten kam eine junge, drahtige Frau in Gummistiefeln. Sie hatte eine Schürze umgewickelt und sah misstrauisch zu Rosa und Liebhart herüber, begrüßte sie aber nicht, sondern ging zu dem Kind und rieb ihm heftig mit der Schürze den Rotz und den Speichel vom Gesicht, sodass es aufquiekte und zu weinen begann. Die Frau ließ es sitzen, richtete sich auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Das Kind weinte und streckte ihr die Arme entgegen, sie ging noch zwei Schritte von ihm weg, damit es sie nicht am Rock ziehen konnte.
»Ja, der war da«, antwortete Setzensberger langsam auf Liebharts Frage nach Andrzej Zieliński.
»Er wollte etwas über Ihre Vorfahren wissen«, sagte Liebhart.
Setzensberger riss es, nur ganz schwach, aber Rosa bemerkte es sofort. »Glauben Sie «, entgegnete er.
»Ja, glaube ich.« Liebhart war
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