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Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Strohschein
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Boden zwischen den Silberdisteln, die ihnen die Beine zerstachen. Rosa ertappte sich dabei, dass sie schon wieder an Daniel Mühlböck dachte. Als sie ihr Mobiltelefon aus der Rocktasche zog und überprüfte, ob sie hier draußen Empfang hatte, dachte sie verärgert: Dumme Kuh, und steckte es schnell wieder ein.
    Eine warme Sommerbrise wehte ihr ins Gesicht und wirbelte Ascheteilchen auf. Sie vergaß Daniel Mühlböck, als sie langsam die ehemalige Mauer des Hauses abschritt und angestrengt in das Innere sah.
    »Was meint ihr?« Liebhart starrte auf die Ruine.
    Rosa blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich bin keine Expertin für Brandherde, aber ich bin es gewohnt, Bilder zu untersuchen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Zuerst habe ich mir gedacht, dass es einfacher wäre, wenn wir einen Plan des Hauptgebäudes hätten. Damit wir die Lage der verschiedenen Zimmer kennen. Ganz zu schweigen davon, dass ich gern wissen würde, wo man Frau Zehetmair gefunden hat.« Sie sah Liebhart fragend an; als der nicht antwortete, fuhr sie fort: »Auf jeden Fall habe ich nach kurzer Zeit bemerkt, dass ich gar keinen Plan brauchte. In der ehemaligen Küche liegen noch vereinzelt Scherben von Geschirr und Besteck am Boden.«
    »Richtig«, sagte Schurrauer, »hier sind noch Teile des Schrankes, in dem sie aufbewahrt worden sind. Er ist verbrannt, das Geschirr ist herausgefallen und zersprungen.« Er wies in die Schuttmassen.
    »Ich hab den Herrgottswinkel gefunden, obwohl dort keine Mauer mehr steht. Aber im Schutt liegen Beschläge eines Kreuzes sowie Schrauben und Haken, mit denen ein Holzkreuz befestigt gewesen sein muss, das natürlich auch verbrannt ist«, fügte Liebhart hinzu.
    »Und um den geschmolzenen Fernseher liegen Knöpfe, Schnallen, Kleiderbügel, Haken und Ösen und eine Menge Asche. Da muss im oberen Stockwerk das Schlafzimmer mit dem Kleiderschrank der Frau Zehetmair gewesen sein. Das verkohlte Bettgestell liegt unweit daneben und ist mit der einstürzenden Decke ins Erdgeschoss gefallen. Aber wisst ihr, was das Erstaunlichste ist?« Rosa führte Liebhart und Schurrauer an die westliche Seite des Haupthauses.
    »Wir stehen vor dem ehemaligen Wohnzimmer, und hier«, sie zeigte mit dem Finger auf einen Fleck am Boden, »hier seht ihr fünf Griffe, die an dem Laden einer Kommode befestigt waren, und zahlreiche Beschläge.« Rosa sah Schurrauer und Liebhart siegessicher an.
    »Und?«, fragten beide gleichzeitig.
    »Wo ist der Inhalt? Das sind die Überreste einer verbrannten Kommode, die sicher aus massivem Holz war. Vielleicht hat sie hier gestanden, vielleicht im ersten Stock, und sie war leer. Leer und mit drei Vorhängeschlössern zugesperrt, die allerdings geknackt worden sind.« Rosa zeigte auf drei aufgebrochene Schlösser im Ruß.
    Schurrauer ließ sich schnell auf die Knie sinken und lehnte sich über die zerstörte Mauer, um besser sehen zu können. »Tatsächlich«, rief er. »Rosa, du hast recht!«
    Aufgeregt musterte er die drei Vorhängeschlösser, deren Schließen mit einer Zange aufgezwickt worden waren. Liebhart beugte sich ebenfalls über die Mauer.
    Dann richtete er sich auf und strahlte Rosa an. »Unsere Kunstwissenschaftlerin mit dem messerscharfen Blick!«
    Sie lächelte und deutete einen Knicks an.
    Liebhart blickte prüfend zu Schurrauer. »Ich bin mir sicher, dass du mit deinem Labor-Adlerblick auch einiges gesehen hast.«
    »Ich denke schon«, begann er. »Feuer züngelt immer nach oben, deswegen liefert der unterste Brandpunkt erfahrungsgemäß die wichtigsten Hinweise. Holzböden und -balken verkohlen oft schachbrettartig.« Er führte Rosa und Liebhart zur Mauer des Haupthauses und zeigte auf eine Stelle in der Mitte des ehemaligen Wohnzimmers. »Ich kann natürlich nicht mit absoluter Bestimmtheit sagen, wo das Feuer ausgebrochen ist, da seit dem Brand schon recht viel Zeit vergangen ist und es inzwischen heftigen Niederschlag gegeben hat, der die Spuren leider noch mehr verwischt hat.« Schurrauer ging in die Hocke und sah konzentriert in den ehemaligen Raum. »Seht ihr, hier müsste der Brandherd gewesen sein. Ihr könnt es an dem verkohlten Muster in den Resten des Holzbodens erkennen und daran, dass an der Stelle etwas mehr Schutt und Asche liegen.«
    »Was heißt das?«, fragte Rosa.
    »Dass hier Material aufgeschichtet worden ist, um ein Feuer zu entfachen.«
    »Also Brandstiftung«, meinte Liebhart.
    »Genau, Brandstiftung«, stimmte Schurrauer zu und erhob sich wieder.

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