Wienerherz - Kriminalroman
Stärkere.
Aus dem Wohnzimmer hörte er »Lucia di Lammermoor«. Er war kein Opernfan, wahrscheinlich hatte er als Kind zu viele davon gehört. Aber er erkannte unzählige nach wenigen Takten. Sein Vater saß auf dem Sofa, versunken in die Musik. Freund ließ sich im Polsterstuhl daneben nieder, hörte schweigend zu, wie sich Edgardo im Finale erstach.
Die danach einsetzende Stille überraschte Oswald Freund. Jetzt erst bemerkte er die andere Person im Wohnzimmer.
»Was machen Sie hier?«, rief er, aufgebracht, zugleich etwas ängstlich.
»Ich bin es, Papa, Laurenz.«
»Wer ist Laurenz?«
Wider besseres Wissen war er verletzt, jedes Mal wieder, wenn sein Vater ihn nicht erkannte. Er schluckte es hinunter.
»Wie geht es dir heute?«, fragte er.
»Was geht das Sie an? Wie sind Sie hereingekommen?«
Auf diese Situation war Freund vorbereitet. Er hielt den Schlüsselbund hoch, klimperte damit.
»Ich habe Schlüssel für die Wohnung.«
Sein Vater blickte auf die Schlüssel, dann in den Raum, als wäre ihm etwas eingefallen. Freund kannte diesen Blick. Sein Vater hatte den Faden verloren. Gleich würden sie in einer anderen Szene landen. Ruckartig wandte sich der Alte wieder ihm zu. Lächelte.
»Friedrich! Das ist aber schön!«
Friedrich war ein Cousin Oswald Freunds gewesen und seit zwanzig Jahren tot.
»Ich bin nicht Friedrich«, sagte Freund.
»Sicher bist du Friedrich!«, beharrte sein Vater ungeduldig.
»Ich bin Laurenz, dein Sohn.«
»Aber du siehst aus wie Friedrich.«
Freund erinnerte sich an den Onkel Friedl. Er war einen Kopf kleiner gewesen als er, dafür zwanzig Kilo schwerer, hatte eine Halbglatze statt Freunds vollem dunkelbraunem Haar. Auch sonst von Ähnlichkeit keine Spur.
Freund wollte widersprechen, als es ihn durchfuhr. »Was hast du gerade gesagt?«
»Du siehst aus wie Friedrich.«
»Ja, ja, das habe ich gehört. War eine rhetorische Frage«, antwortete er, mit seinen Gedanken jetzt fast so weit weg wie das Bewusstsein seines Vaters.
»Warum fragst du mich dann?«, wollte sein Vater wissen.
Diese hellen Momente zwischendurch überraschten Freund immer wieder. Er raffte sich zusammen, sprang auf, drückte dem alten Mann einen Kuss auf die faltige Stirn und war schon an der Wohnzimmertür.
»Ich muss los!«
Schnell verabschiedete er sich von der Pflegerin. Auf dem Weg nach unten telefonierte er bereits mit Canella.
»Hast du von Florian Dorin eine DNS -Probe genommen, als er gefunden wurde?«
»Natürlich«, sagte Canella.
»Und?«
»Was, und? Ich habe sie noch.«
»Aber nicht analysiert.«
»Wozu? Es gibt keine Spurenträger einer möglichen Tat oder von Verdächtigen, mit der ich sie vergleichen könnte.«
»Das nicht.«
»Was dann?«
»Vergleich die DNS mit ihr selber.«
»Du sprichst in Rätseln.«
»Mit etwas aus Dorins Haushalt, einem Gegenstand, an dem ihr auch seine DNS findet: Rasierer, Kamm, Bürste.«
»Und was soll das bringen?«
»Denk nach.«
Schweigen im Telefon. Dann: »Verstehe.«
»Bestens.«
»Die DNS von Emil Komeska mache ich gleich mit.«
»Schlauer Knabe.«
»Das Ganze bis gestern, nehme ich an.«
»Vorgestern.«
»Montag.«
»Okay.«
Stammbäume
Der November begann sonnig. Der erste Anruf am Montagmorgen kam von Canella.
»Komm herüber«, forderte er. Freund gehorchte. Wenn er so sprach, hatte der Techniker etwas entdeckt.
Bevor er loskonnte, klingelte schon wieder das Telefon.
»Ich möchte Sie in zwei Stunden bei mir im Büro sehen«, erklärte der Pepe grußlos und legte ebenso auf.
Irritiert vom Anruf des Polizeipräsidenten ging er hinüber zu Canella.
Auf Canellas langem Arbeitstisch lagen eine Haarbürste, ein Kamm, ein paar durchsichtige Säckchen mit Spurenmaterial. Auf dem rechten Rand standen ein Mikroskop und andere Utensilien, auf dem linken ein Leuchttisch, ausgeschaltet.
»Der Reihe nach«, erklärte Canella. Er zeigte auf eines der Säckchen. »Diese DNS -Probe stammt von Dorin im Auto, wo wir ihn gefunden haben.«
Seine Hände steckten in dünnen Gummihandschuhen. Er wies auf die Bürste. »Diese da haben wir aus Dorins Bad.«
Er schob die beiden Objekte zueinander. »Die DNS passt.«
Canella hatte seine schöne Idee gerade zerklatscht wie eine Seifenblase.
»Jetzt bist du enttäuscht«, sagte Canella. »Ich sehe es dir an. Das wäre ein Coup gewesen. Florian Dorin gar nicht tot, sondern Emil Komeska die Leiche im Bentley. Ist leider nicht so. Dafür habe ich etwas anderes entdeckt. Nicht minder
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