Wienerherz - Kriminalroman
Kennzeichen.«
»Zu weit weg.«
»Und in den hat Florian Dorin Koffer gepackt? Um halb fünf? Woher wissen Sie, dass es wirklich Dorin war?«
»Er sah aus wie Dorin. Er ging in Dorins Haus ein und aus.«
Am liebsten hätte Spazier ihn gefragt, ob er bei seiner nächtlichen Tour nicht ein paar Bier zu viel getrunken hatte. Oder ein paar Pillen eingeworfen.
»Ich habe mich aber nicht weiter darum gekümmert, ich war hundemüde«, fuhr Benno fort. »Keine Ahnung, ob er dann weggefahren oder geblieben ist.«
Er sah noch einmal aus dem Fenster.
»Na, das Auto ist auf jeden Fall weg.«
Sie fuhren über die Südautobahn. Eine der meistbefahrenen Straßen des Landes zeigte sich gnädig und ließ sie zügig vorankommen.
»Er muss sich geirrt haben«, meinte Spazier. »Wahrscheinlich war er besoffen. Sonst hat niemand etwas gesehen.«
»Komisch ist es schon«, sagte Freund, dachte aber ähnlich. Er würde die Aussage im Kopf behalten. Jetzt, am Anfang der Ermittlungen, wollte er noch nicht zu wertend eingreifen.
Bei Brunn am Gebirge zweigten sie, wie der Name, wenn auch etwas übertrieben, erklärte, ab in die Hügel des Wienerwaldes. Die schroffen Klippen, an denen die Ausläufer der Kalkalpen ins Wiener Becken abbrachen, waren von Schirmföhren bewachsen, die Freund bei jeder Fahrt durch das Gebiet für ein paar Minuten das Gefühl schenkten, am Mittelmeer zu sein. Bald wurden die Täler tiefer und die Wälder dunkler. Die Vegetation wechselte wieder zu den heimischen Nadelbaumarten. Dazwischen leuchteten vereinzelt rot oder gelb gefärbte Buchen. Sie passierten Mayerling, Schauplatz einer Tragödie und Ausgangsort von Legenden, wo sich der einzige Sohn von Kaiserin Elisabeth und Kaiser Franz Joseph, der österreichische Thronfolger Kronprinz Rudolf, 1889 das Leben nahm, nachdem seine Geliebte, Baronesse Maria von Vetsera, erschossen worden war. Von wem, ob überhaupt und warum, bildete bis heute Stoff für die unterschiedlichsten Verschwörungstheorien.
Auch ein Selbstmörder, überlegte Freund und fragte sich im nächsten Moment, warum er hier unterwegs war, wenn er eben »auch« gedacht hatte.
Dorins Anwesen lag noch etwas weiter, vierzig Kilometer südwestlich Wiens im Tal des kleinen Flusses Triesting, abgelegen von allen Ortschaften. Eine Mauer umgab das Grundstück, ein großes schmiedeeisernes Tor stand offen. Durch einen Park fuhren sie auf den zweigeschossigen Barockbau zu. Beim Näherkommen war er kleiner, als er von Weitem gewirkt hatte. Seine zwei kurzen Flügel und das zentrale Portal, über dem ein halbrunder Balkon thronte, wirkten wie kürzlich restauriert. Auf der Treppe zum Eingangstor erwartete sie ein Mann, vielleicht fünfzig Jahre alt, mit imposantem Schnurrbart, Nickelbrille und Glatze. Er trug einen grauen Wolljanker über dem karierten Hemd und eine Hose aus dunklem, grobem Stoff.
Neben ihm stand eine kleine, schmale Frau mit großen dunklen Augen, die wie jene von Kindern in die Welt schauten. Auch sie war ländlich gekleidet.
»Hannes Bruckner«, stellte der Mann sich vor. »Und das ist meine Frau Nelly.«
Den Termin mit dem Verwalterehepaar hatte Freund telefonisch vereinbart. Über den Tod ihres Arbeitgebers hatte sie noch niemand unterrichtet. Ihre Betroffenheit wirkte echt. Sie benötigten einen Moment, bis sie sich gefasst hatten. Der Mann fragte nach der Todesursache. Freund klärte sie auf.
»Wenn er sich erschossen hat, was machen Sie dann da?«
»Einigen Hinweisen nachgehen.«
»Dürfen Sie das?«
»Ja.«
»Ich muss mich um ein paar Dinge kümmern«, erklärte Frau Bruckner und verabschiedete sich.
Nelly. Freund musste auf der Liste der Haushälterin mit Florian Dorins Liebhaberinnen nachsehen. Fand sich da nicht auch eine Nelly?
»Herr Dorin war zwei-, dreimal im Monat hier«, erklärte Hannes Bruckner, während er sie durch die Räume führte. Das Interieur bestand aus Antiquitäten verschiedener Epochen, von Barock bis Art déco. Einige Räume wirkten wie ein Museum, andere fand Freund richtig gemütlich. In einem davon stand am Kaminsims eine Sammlung von Bilderrahmen mit Familienfotos. Ein jüngerer Florian Dorin, zwei Frauen, drei Kinder in verschiedenen Altersphasen, zwei Buben, ein Mädchen. Sie hatten nun keinen Vater mehr.
»Er gab Empfänge und lud zur Jagd. Zu der Liegenschaft gehören Ländereien, die an lokale Bauern verpachtet sind, und Wald. Was wird denn nun mit dem Besitz?«
»Irgendjemand wird ihn erben«, sagte Spazier.
Der Verwalter führte
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