Wienerherz - Kriminalroman
sparen und außerdem die Frau nicht beunruhigen.
»Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, was ich jetzt tun soll«, sagte sie. Marie Liebar sah umwerfend aus, war vielleicht Anfang dreißig und passte in Dorins Beuteschema, nach den Fotos, die Freund von dessen Freundinnen gesehen hatte.
»Als Erstes können Sie uns sagen, ob Ihnen in letzter Zeit etwas Ungewöhnliches aufgefallen ist. An Herrn Dorin, hier im Büro …«
»Nein, außer Sie meinen sein Gewicht. Wissen Sie, hier passiert nicht viel. Herr Dorin kam im Lauf des Vormittags, erledigte Telefonate und seine Korrespondenz, empfing Geschäftspartner, manchmal ging er dann mit ihnen mittagessen, das war es schon.«
»Worin bestanden denn die Geschäfte von Herrn Dorin genau?«
»Er besitzt Anteile an verschiedenen Unternehmen. Aber ich gestehe, dass ich davon nicht so viel verstehe. Ich sitze am Telefon, mache Termine, erledige Korrespondenz, die er mir diktiert. Diktierte.«
»Wissen Sie denn, woran er im Moment arbeitete?«
»Ein Anlagebauprojekt in Deutschland von einer seiner Beteiligungen, glaube ich, aber, wie gesagt, so genau kenne ich mich nicht aus.«
Schon wieder jemand, der ihm nichts Konkretes über Dorins Geschäfte sagen konnte. Oder wollte. Freund ließ sich von ihr in Dorins Büro führen. Es war so groß wie Freunds halbe Wohnung, und die war nicht klein. Der moderne Schreibtisch aus Glas und Metall am einen Ende und die Sitzgruppe aus Ledersesseln am anderen verloren sich fast darin. Auf dem Schreibtisch ein Telefon, eine Schreibunterlage aus Leder, darauf ein geschlossener Laptop, sonst nichts. Nach viel Arbeit sah das für Freund nicht aus. Er musste an seinen Schreibtisch denken, auf dem sich die Unterlagen wie immer stapelten.
»Den nehmen wir mit«, sagte er und gab Spazier ein Zeichen, das Gerät einzupacken.
»Dann haben wir hier noch das Besprechungszimmer.«
Geradezu ein Saal, mit einem langen Tisch. Freund zählte zwanzig Stühle.
»Wollen Sie die Küche auch noch sehen?«
»Nein danke. Führten Sie den Terminkalender für Herrn Dorin?«
»Ja.«
»Welche Termine hatte er denn am Tag vor seinem Tod?«
Sie kehrten zurück in den Empfangsraum, an den das Arbeitszimmer der Frau grenzte. So viel Platz für zwei Personen, dachte Freund.
Liebar sah auf ihrem Computer nach.
»Am Vormittag mit dem Anwalt Kutter, danach mit der Notarin Bielinsky. Mittagessen mit Geschäftspartnern aus Bulgarien.«
Die Namen stimmten mit jenen in Dorins Telefon überein.
»Am Nachmittag noch ein Anwaltstermin mit Herrn Theuringer und Herrn Thaler, nach fünfzehn Uhr dann nichts mehr.«
»Joachim Thaler, vormals Minister?«
»Ja.«
Freund erinnerte sich, auf einem der zahlreichen Bilder, die er von Dorin im Internet gesehen hatte, auch Thaler entdeckt zu haben. Eine Jagdgesellschaft, wenn ihn sein Gedächtnis nicht täuschte.
»Ich bräuchte bitte eine Kopie seines Kalenders und seiner Kontakte.«
»Ich spiele Ihnen die Daten auf einen USB -Stick.«
»Apropos Daten. Speichern Sie hier welche auf CD s?«
»Ja. Buchhaltung, Korrespondenzen …«
»Gibt es eine CD mit der Nummer 1934?«
»Nein. So viele haben wir im Leben nicht. Es sind vielleicht dreißig.«
»Die nehmen wir auch mit.«
Sie steckte den USB -Stick an. Während die Daten übertragen wurden, holte sie drei volle CD -Stapler aus einem Schrank.
»Sie sind jetzt schon die Zweite, die sein Gewicht erwähnt«, sagte Freund. »Sein Bruder meinte auch, dass Herr Dorin abgenommen hatte.«
»Ja, in den letzten Monaten begann er, mehr Sport zu treiben und auf seine Ernährung zu achten. Als ich ihm einmal ein Kompliment dazu machte, lachte er und sagte: ›Das ist das Alter, meine Liebe. Ich komme in die Midlife-Crisis.‹«
Würde sich die bei mir doch auch so auswirken, dachte Freund.
»Steckte vielleicht noch was anderes dahinter?«
»Eine Frau, meinen Sie?«
»Zum Beispiel. Oder eine medizinische Diagnose.«
»Hat er nie erwähnt. Frau glaube ich nicht. Die mochten ihn auch davor. Aber man weiß natürlich nie. Midlife-Crisis klang mir ganz plausibel.«
Tut es auch, gestand sich Freund ein. Keinen Mann in seinem Freundeskreis hatte sie während der letzten Jahre verschont. Sport und gesunde Ernährung waren noch die harmlosesten Folgen geblieben.
»Wenn Sie seinen Terminkalender führten, wissen Sie vielleicht auch, ob Herr Dorin eine Freundin hatte?«
»Ich kann es nur aus der Frequenz der Damenanrufe schließen. Er hat mir nie jemanden vorgestellt oder hier von einer
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