Wienerherz - Kriminalroman
Besuch bekommen.«
Von »einer«. Wie das klang. Eine aktuelle Gefährtin – oder mehrere – musste er unbedingt befragen. Freund hatte das Gefühl, dass die Assistentin trotz Dorins Diskretion sehr genau wusste, wer die Amouren waren. Sie wollte wohl gebeten werden. Vielleicht half Schmeichelei.
»Und was schließen Sie aus der Anruffrequenz?«
Sie gab vor, scharf nachzudenken, bevor sie erklärte: »In den letzten Monaten waren das vor allem eine Gundi und eine Solveig.« Sie überlegte, wie viel sie preisgeben durfte. Sie überlegte nicht lange. »Ich glaube, Gundi heißt mit Nachnamen Bielert. Solveig Harnusson dürfte eine schwedische Studentin sein.«
»Telefonnummern haben Sie?«
»Ich gebe sie Ihnen.«
»Wie lange arbeiten Sie schon für ihn?«
»Seit vier Jahren.«
»Kennen Sie seine Familie?«
»Sein Bruder Leopold war ein paarmal hier. Ich glaube, sie waren nicht besonders eng miteinander.«
Den Eindruck hatte Freund in den Gesprächen mit Leopold Dorin auch gewonnen.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Na … ich weiß nicht. Wegen der Art, wie sie miteinander umgingen. Und …« Sie stockte.
»Und?«
»Beim letzten Besuch hörte ich sie bis hier draußen streiten. Das ist aber schon ein paar Wochen her.«
»Seitdem war Leopold Dorin nicht mehr hier?«
»Zumindest nicht während meiner Arbeitszeit.«
»Hatte Herr Dorin Feinde? Leute, die ihn nicht mochten?«
Sie zögerte.
»Vor ein paar Jahren«, sagte sie, »brachte er diese Landbeteiligungsgesellschaft MyEstate an die Börse. Leider entwickelte sich das Unternehmen nicht wie gewünscht. Die damaligen Aktionäre prozessieren gegen ihn. Einige von ihnen schicken böse Briefe oder rufen an. Neulich war sogar einer da und hat eine Szene gemacht.«
»Hat er ihn bedroht?«
»Hm. Ja.«
»Haben Sie einen Namen?«
Sie sah in ihrem Computer nach.
»Alexander Sowitsch.«
Sie nannte ihnen eine Adresse in Wien.
»Hätten Sie eine Schriftprobe von Herrn Dorin für mich?«
Aus einem der Regale zog sie einen prall gefüllten Ordner. In einer Folie klebte ein Post-it mit einer handschriftlichen Notiz. Freund nahm sie entgegen und packte sie in eines der Säckchen für kleine Beweismittel, von denen er immer ein paar mit sich trug.
»Was für ein Mensch war Herr Dorin?«
Sie antwortete sofort.
»Ein netter. Und das sage ich nicht nur deshalb, weil man über die Toten nichts Schlechtes sagen soll.«
»Manuela Korn, Dermatologin, Termine nur nach Voranmeldung, keine Kassen«, erklärte das Schild neben der Haustür. Der Name kam Freund bekannt vor. Eine Schulfreundin von Clara aus der neuen Klasse hieß Korn. Freund nahm den Fahrstuhl, einen schönen, alten aus Holz mit Messingknöpfen und einer herabklappbaren Sitzbank, in den zweiten Stock. Die Frau, die ihm die Tür öffnete, hatte er schon einmal gesehen. Sie hatte brünette Wellen mit einem zinnoberroten Ton, ein offenes Gesicht, stark geschminkte Lippen und trug einen weißen Arztkittel.
»Herr Freund«, begrüßte ihn Manuela Korn mit einem Lächeln. »Wir hatten noch nicht persönlich das Vergnügen. Die Bekanntschaft Ihrer Frau habe ich ja bereits in der Schule gemacht, als wir unsere Töchter abholten. Die beiden verstehen sich ja ausgezeichnet, wir haben schon vereinbart, dass Marlies kommende Woche einen Nachmittag zu Clara darf. Beim ersten Elternabend in der Schule haben wir uns sicher auch kurz gesehen, aber in einer neuen Schule, da sind so viele unbekannte Gesichter auf einmal …«
Ihre Miene verdüsterte sich. »Schade, dass wir uns anlässlich einer solchen Tragödie kennenlernen müssen.«
Das Wartezimmer war bereits leer. Manuela Korn bat ihn in ihren Ordinationsraum. Sie setzte sich auf ihren Sessel, Freund blieb der Patientenstuhl. Eigentlich sollte ich da drüben Platz nehmen, dachte Freund, wo der sitzt, der die Fragen stellt. Wie geht es Ihnen, was führt Sie zu mir, wo tut es weh?
»Wie hat es Ihre Tochter aufgenommen?«, fragte Freund.
»Es geht. Sie hat Florian nicht so oft gesehen.«
»Der Bruder Ihres ehemaligen Mannes sagte, er wäre sehr eng mit seinen Kindern …«
Sie lachte.
»Leopold! Und die heilige Familie. Er fand den Lebenswandel seines Bruders abscheulich. Deshalb redete er ihn sich schön. Womit ich nicht sagen möchte, dass Florian ein schlechter Vater war. Er war einfach keiner. Einmal in der Woche nahm er Marlies für ein paar Stunden, machte teure Geschenke und Ausflüge, besuchte ihre Großeltern im Palais. Ich hatte dann den Rest der
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