Wienerherz - Kriminalroman
ich nie. Die Dorins sind Geschäftsmänner. Das wurde alles schon bei unserer Eheschließung festgelegt.«
Freund fand Manuela Korn sympathisch, ihre offene, pragmatische Art. Er freute sich, dass Clara die Freundin ihrer Tochter war.
»Dann werden wir uns in Zukunft ja öfter sehen«, sagte er. »Nicht dienstlich natürlich«, beeilte er sich hinzuzufügen.
Wie viel Erinnerung?
»Dorin war der Vater von Marlies?«, rief Claudia fast. »Das arme Kind!«
Clara und Bernd saßen in ihren Zimmern über den Hausaufgaben. Hoffte er.
»Manuela Korn meinte, dass sie damit umgehen kann. Sie sahen sich nicht so oft.«
»Trotzdem … Was, glaubst du, würde Clara fühlen, wenn du nicht mehr da wärst?«
Der Gedanke versetzte ihm einen Stich. Ja, was würde sie empfinden? Wie würde sie ihn in Erinnerung behalten? Wie viel Erinnerung würde überhaupt bleiben im Kopf einer zu diesem Zeitpunkt Elfjährigen? Sein Vater fiel ihm ein. Oswald Freund, der sein ganzes Leben vergessen hatte.
»Ich mache vor dem Abendessen noch ein paar Yogaübungen. Machst du mit?«
»Ich habe doch keine Sportkleidung«, sagte er.
»Das kannst du auch in einer bequemen Freizeithose und einem weiten Hemd oder Leibchen.«
»Ich muss gleich die Hausaufgaben der Kinder kontrollieren.«
Ihr Blick signalisierte Enttäuschung, vielleicht sogar ein bisschen Verachtung.
»Dann eben nicht«, sagte sie und verschwand.
Lustlos griff Freund zu dem Buch, das er gerade las, doch er konnte sich nicht auf den Text konzentrieren. War er wirklich so träge, wie Claudia ihm neuerdings suggerierte? Er verstand sich zunehmend als aufrechter Widerständler gegen den um sich greifenden Fitnessterror. Oder legte er damit nur seiner Bequemlichkeit eine lächerliche Ausrede zurecht?
Clara kam als Erste. Sie knallte das Heft vor ihm auf den Tisch. Freund rechnete die Gleichungen nach. Bei Bernd tat er sich manchmal schon schwer, nicht in Mathematik, aber der Bub lernte das erste Jahr Latein, während Freunds Erfahrungen damit weit zurücklagen – und auch damals nicht die besten gewesen waren.
»Wie geht es Marlies Korn?«, fragte er.
»Weil ihr Papa tot ist?«
Freund nickte.
»Sie ist ein bisschen traurig. Aber nicht schlimm. Sie kommt mich nächste Woche besuchen!«
»Ich weiß.«
Er umarmte sie. So ein kleiner, dünner Körper.
Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
»Du kratzt«, sagte sie und wand sich frei.
Doch dann gab sie auch der anderen Wange noch ein Busserl, schnappte ihr Heft und wirbelte davon. Ein Augenschlag, und sie wird erwachsen sein, dachte Freund.
Auf ein Podest
»Zweifel? Weshalb?«
Hinter Leopold Dorins Fassade konnte Freund nicht erkennen, ob ihn die Nachricht überraschte.
»Kleine Ungereimtheiten am Tatort«, erklärte Freund. Mehr musste Dorin nicht wissen.
»Verstehe. Und das heißt?«
»Ich muss noch ein paar Ermittlungen anstellen. Ich brauche jemanden, der mir Auskunft über Ihren Bruder geben kann. Zuerst dachte ich an Sie.«
Dorin lehnte sich zurück, verschränkte die Hände.
»Ich muss vorausschicken, dass ich in keinem besonders engen Kontakt zu meinem Bruder stand. Wir trafen uns höchstens ein- bis zweimal monatlich, meist anlässlich eines Essens bei unseren Eltern. Aber ich helfe Ihnen natürlich gern, wo ich kann. Was möchten Sie wissen?«
»Hatte Ihr Bruder Feinde?«
»Mit Sicherheit. In Frauensachen beispielsweise kannte er keine Rücksicht. Er betrog seine beiden Ehefrauen am laufenden Band, er betrog seine Liebschaften, er machte auch vor verheirateten Frauen nicht halt, was ihm den Zorn manchen Ehemanns eintrug, und er prahlte auch noch damit. Wenn Sie jemanden suchen, der ihm nichts Gutes wollte, finden Sie in diesem Bereich sicher einige.«
Er trank einen Schluck Wasser aus einem Glas, das neben einer Karaffe auf seinem Schreibtisch stand.
»Obwohl er die Gabe besaß, dass ihm viele nicht auf Dauer böse sein konnten. So vertrug er sich mit meinen beiden ehemaligen Schwägerinnen, den Müttern seiner Kinder, ausgezeichnet. Na ja«, fügte er hinzu, »sie bekommen auch genug Geld von ihm, um gut auf ihn zu sprechen zu sein.«
Als ob das Grund genug wäre, jemanden zu mögen. Eine der größten Herausforderungen für Freund in solchen Gesprächen bestand darin, die Ansichten seines Gegenübers nicht zu kommentieren oder gar in Frage zu stellen, mochten sie ihm noch so sehr gegen den Strich gehen. Er war da, um Informationen zu gewinnen. Dazu musste er vor allem zuhören und Schlüsse
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