Wienerherz - Kriminalroman
beschließen. Und es auch noch frech mit der geänderten wirtschaftlichen Lage begründen. Natürlich haben sie ihre eigenen Schäfchen vorher ins Trockene gebracht.«
Er tippte mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte, dass Spazier schon fürchtete, er werde ihn sich brechen.
»Mittlerweile gibt es Gutachten, die erklären, was hier alles gelaufen ist. Aber Sie kommen gegen dieses Gesindel nicht an. Die können sich die teureren Anwälte leisten, haben den längeren Atem und von vornherein alles so geplant, dass sie sich abputzen können. Kleinaktionäre wie ich haben bei der Sache insgesamt über dreihundert Millionen Euro verloren! Und was machen diese Herren? Längst schon wieder neue Geschäfte, zum Teil sogar im selben Bereich! Gegen manche wurden die Ermittlungen eingestellt, gegen andere laufen Verfahren, aber seit drei Jahren! Da frage ich mich doch, ob wir in einem Rechtsstaat leben? Diese Typen verdienen schon wieder Millionen und lachen sich ins Fäustchen! Wahrscheinlich spielen sie mit dem Justizminister Golf oder sind mit ihm im selben Herrenverein und werden nie vor ein anständiges Gericht gestellt. Da soll man nicht wütend werden? Deshalb bin ich zu Herrn Dorin gegangen. Um ihm wenigstens meine Meinung zu sagen.«
»Wie hat er reagiert?«
»Das Übliche. Er sei ja selber Geschädigter, habe bei der Geschichte noch viel mehr Geld verloren. Die Wirtschaftskrise und überhaupt, in ein paar Jahren seien die Aktien wieder viel wert. Im Übrigen würden die Gerichte die Fälle behandeln und feststellen, dass alles völlig legal und ordentlich gewesen sei.«
»Nicht sehr befriedigend.«
Sowitsch lachte bitter. »Nein. Sind Sie etwa wegen der Prozesse hier?«
Sein Gesicht hellte sich auf. Er witterte einen Verbündeten.
»Ermitteln Sie in der Sache?«, fragte er hoffnungsfroh.
»Haben Sie Herrn Dorin noch bei anderer Gelegenheit getroffen?«
»Einmal vor Gericht, aber das ist schon zwei Jahre her. Damals haben wir auch nicht miteinander geredet.«
»Sonst nicht?«
»Nein.«
»Was haben Sie denn in der Nacht von Montag auf Dienstag gemacht?«
Sowitsch versteinerte. »Wie jetzt? Was … was ist das für eine Frage? Die stellen Polizisten im Fernsehen doch nur wenn … was wollen Sie mir …?«
»Sagen Sie doch einfach, was Sie gemacht haben, dann ist schon alles geklärt.«
»Ich war zu Hause bei meiner Familie. In der Nacht habe ich geschlafen.«
»Na sehen Sie, war doch nicht so schwer. War außer Ihrer Familie noch jemand da?«
»N… nein. Warum wollen Sie das wissen?«
»In dieser Nacht ist Herr Dorin gestorben.«
»Gestorben? Wie? Woran?«
Wichtige Frage in diesem Moment. Vor allem wenn sie im selben nervös-aufgeregten Ton vorgetragen wurde wie das vorangegangene Gespräch. Obwohl heute bereits jeder wusste, dass man sich besser danach erkundigt.
»Sie glauben doch nicht, dass ich …?«
Spazier fand es schon erstaunlich, dass den Menschen in dieser Situation nichts anderes einfiel.
»Es sieht nach Suizid aus.«
Spazier beobachtete, wie Sowitschs Schultern sich entspannten. Und gleich wieder zum Sprung ansetzten.
»Warum fragen Sie mich dann?«
»Routine.«
»Dieser Mistkerl«, zischte Sowitsch. »So zieht er sich aus der Affäre!«
Das Atelier befand sich in einem Backsteinbau mit zwei Höfen, der einst einer Hutfabrik, einer »Plissieranstalt« und einem Riemenproduzenten als Fabrik gedient hatte, wie eine Tafel am Eingang erklärte. Über dem Tor stand in geschwungenen Buchstaben: » A . D .1902«. Heute beherbergte das Gebäude eine Kunsttischlerei, einen Modellbauer, ein Architekturbüro, eine PR -Agentur, eine Unternehmensberatung, die sich auf Umweltthemen spezialisiert hatte, eine Modedesignerin und Peer Tanns Atelier.
Freund war schon im ersten Hof, als ihm der Gedanke ins Gehirn purzelte. Eilig kehrte er um und las noch einmal die Inschrift über dem Torbogen. Dem Einfall musste er bei Gelegenheit nachgehen.
»Nur interessehalber«, fragte der Künstler, nachdem Freund sich vorgestellt hatte. »Wie oft bekommen Sie das mit dem ›Freund und Helfer‹ zu hören?«
»Fragen Sie nicht.«
Sie tranken Kaffee, den der Maler in einer kleinen Espressokanne zubereitet hatte.
»Ich habe mir das Pseudonym zu Beginn meiner künstlerischen Tätigkeit zugelegt«, erklärte Viktor Dorin, »weil ich es durch meine eigene Arbeit schaffen wollte, nicht wegen meines Namens.«
»Hätte man Sie unter Ihrem richtigen Namen denn als Künstler ernst genommen?«
Er verzog den
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