Wienerherz - Kriminalroman
ziehen.
»Das bekommen sie ja nun nicht mehr.«
»Mein Bruder hat gut vorgesorgt für den Fall seines Ablebens. Die zwei Frauen und drei Kinder brauchen sich keine Sorgen zu machen. Sie sind schon seit den jeweiligen Scheidungen Begünstigte einer Stiftung, die mit entsprechenden Mitteln ausgestattet ist. Ich sitze im Vorstand.«
»Die Frauen und Kinder profitieren also nicht vom Tod Ihres Bruders?«
»Die Verfügungen meines Bruders für den Todesfall kenne ich nicht. Die Auszahlungen der Stiftung sind davon unabhängig. Aber ich glaube nicht, dass Sie hier ein Motiv finden. Seine erste Frau lebt seit der Scheidung mit den Kindern wieder in Salzburg, wo sie herstammt. Sie kommt aus einer wohlhabenden Familie und bräuchte das Geld meines Bruders nicht. Die zweite brachte zwar kein eigenes Vermögen mit, ist aber erfolgreiche Ärztin, findet also auch ihr Auskommen.«
»Aber nicht den Standard, den sie während der Ehe mit Ihrem Bruder gewohnt war.«
»Es geht ihr gut.«
»Wo wir von Frauen reden: Wissen Sie, ob Ihr Bruder aktuell eine Beziehung hatte, und wenn ja, mit wem?«
»Zu uns nach Hause hat er keine gebracht. Aber sicher hatte er wen. Florian konnte nicht alleine sein.«
»Womit hat Ihr Bruder sein Geld verdient?«
»Über seine Geschäfte weiß ich wenig, nicht mehr, als Sie in den Medien finden, darüber hat er nicht viel gesprochen. Im Prinzip hat er vor allem Beteiligungen an Firmen erworben und wieder verkauft. Außerdem ist er auch Begünstigter der Stiftung, die das Familienvermögen verwaltet.«
»In der MyEstate-Sache hat er viele Aktionäre gegen sich aufgebracht.«
»Damit hat er sich wenig Freunde gemacht, allerdings. Diese Geschichte werden die Gerichte klären. Aber warum sollte ihn ein Geschädigter umbringen? Das würde es noch komplizierter machen, an das verlorene Geld zu kommen.«
»Wenn ich das richtig verstanden habe, war er nicht in den Unternehmen Ihrer Familie aktiv?«
»Das ist richtig. Er hat seinen eigenen Weg gemacht.«
Ein Weg, der dir nicht gefallen hat, dachte Freund, so wie Leopold Dorin darüber sprach. Oder missfiel ihm die Tatsache, dass sein Bruder überhaupt einen eigenen Weg gegangen war, im Gegensatz zu ihm selbst, der die Familiengeschäfte weitergeführt hatte?
Noch immer hatte er die eisige Stimmung der Eltern bei der gestrigen Leichenbeschau im Kopf. Er überlegte, ob er ihn nach dem Verhältnis seiner Eltern zu Florian und untereinander fragen sollte. Leopold Dorin schien keine Plaudertasche zu sein.
»Ihre Eltern«, sagte er, »haben gestern sehr unterschiedlich reagiert.«
Dorins Stimme kühlte eine Nuance ab. »Sie sind verschieden. Jeder trauert auf seine Weise.«
Hier kam er vorläufig nicht weiter.
»Wo lebte Ihr Bruder? Ich habe gelesen, dass er ein eigenes Schloss besitzt.«
»Dort war er selten, meinem Wissen nach. Es diente mehr der gesellschaftlichen Repräsentation. Vorwiegend hielt er sich in seinem Wiener Haus auf. Den Sommer verbrachte er in Bad Aussee und auf seinem Boot im Mittelmeer.«
Bitte nicht noch mehr Orte, die sie überprüfen mussten, betete Freund im Stillen.
»Was für ein Mensch war Ihr Bruder?«
Leopold Dorin dachte kurz nach. »›Lebensfroh‹ bezeichnet ihn am besten, hätte ich bis gestern gesagt.«
»Und heute?«
Wieder musste Dorin überlegen. Dann sagte er: »Nennen wir es ›selbstzentriert‹.«
Oder egoistisch, dachte Freund. Leopold Dorin wirkte auf ihn allerdings auch nicht wie ein selbstloses Opferlamm. Vielleicht wählte er deshalb diesen Ausdruck.
»Wo finde ich Ihren Bruder Viktor?«
»Viktor. Ah ja.«
Ah ja. Aus dem Mund eines Leopold Dorin sagten diese zwei Silben mehr als ein halbstündiger Vortrag.
»Vorzugsweise in seinem Atelier. Er malt.« Dorin nannte Freund die Adresse im zweiten Bezirk.
»Wenn Sie mir jemanden nennen müssten, der Ihren Bruder ermordet haben könnte, wer fiele Ihnen da ein?«
Leopold Dorin musterte ihn, nickte nachdenklich, sah dann an Freund vorbei ins Nichts, bis sein Blick wieder zum Inspektor fand. Er sah ihm fest in die Augen.
»Ich kann mir niemanden vorstellen.«
»Wesla Industrie«, verkündeten große Leuchtbuchstaben vom Dach der gesichtslosen Industriehalle am Ostrand Wiens. Lukas Spazier stellte die Ducati am Parkplatz davor ab und meldete sich am Empfang.
»Ich möchte zu Herrn Sowitsch«, sagte er und hielt ein kleines Paket hoch, das er extra für diesen Zweck mitgenommen hatte. »Botendienst. Ich soll das Paket persönlich übergeben.«
Der
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