Wienerherz - Kriminalroman
wie man in diesem Alter ist, da versteht man so etwas als Ermutigung. Ich studierte also weder Wirtschaft noch Jus und verstehe bis heute nichts davon.«
»Aber Ihr Bruder ist in die Welt des großen Geldes zurückgekehrt.«
»Wahrscheinlich hat ihn doch gekränkt, dass Papa ihn schließlich entfernt hat. Stellen Sie sich vor, Ihr Vater stellt Sie Ihr ganzes Leben auf ein Podest, und plötzlich stößt er Sie herab.«
Freund konnte sich das nur schwer vorstellen. Sein Vater hatte sich nie für seinen Sohn interessiert, ihn schon gar nicht auf ein Podest gestellt.
»Danach wollte er ihm wahrscheinlich beweisen, dass er die in ihn gesetzten Erwartungen sehr wohl erfüllen konnte. Zumindest ließ er das in einem seltenen nachdenklichen Moment durchblitzen. Wollen Sie noch einen Kaffee?«
Freund fand es gemütlich in dem Atelier. Außerdem schien der Maler weniger darauf bedacht, nur das Notwendigste preiszugeben, als sein Bruder in der Bank.
»Gern.«
Tann-Dorin setzte ein neues Kännchen auf.
»Leben Sie von der Malerei?«
»Ja. Allerdings nicht im Luxus. Leopold pflegt meine Wohnung ›die Abstellkammer‹ zu nennen, weil sie nur aus zwei Zimmern, Küche und Bad besteht. Und gemietet ist. Er versteht das nicht, wo ich doch Geld aus einer Familienstiftung bekomme. Aber das lasse ich von Leopold anlegen, und einen Teil spende ich.«
»Fällt Ihnen jemand ein, der Ihren Bruder gern tot gesehen hätte?«
Tann-Dorin servierte zwei weitere Espressi.
»Nicht spontan. Obwohl er sich mit seinen Frauengeschichten sicher Feinde gemacht hat. Aber tot? Ich weiß nicht …«
»Ihr Bruder scheint ein Weiberheld gewesen zu sein.«
»Kein Rock war vor dem sicher. Vorausgesetzt, es haben lange, schlanke Beine herausgeschaut.«
»Kannten Sie seine Freundinnen?«
»Ein paar. Sicher nicht alle.«
»Die letzten?«
»Da war eine unglaublich fesche Schwedin, Solveig. Ziemlich jung, würde ich sagen, vielleicht Mitte zwanzig. Wirkte aber reifer. Sehr lässige Frau. Keine Ahnung, was sie an ihm fand. Sie war zweimal mit ihm hier.«
»Sonst noch wer?«
Er dachte nach. »Vor einem halben Jahr war ich einmal auf einer Party bei ihm zu Hause, da gab es eine Kim. Asiatin. Sonst wüsste ich aus der letzten Zeit keine. Was aber nicht heißt, dass es keine gab.«
»Eine vielleicht etwas seltsam anmutende Frage: Hat das Jahr 1934 in Ihrer Familie eine Bedeutung?«
Die Idee, dass die Ziffernfolge 1934 auf Florian Dorins Notiz eine Jahreszahl bedeuten konnte, war ihm bei der Inschrift über dem Eingang des Gebäudekomplexes gekommen.
»Weiß ich nicht. Es gibt eine Familienchronik, da könnte man das wahrscheinlich nachlesen. Aber ich habe keine da.«
»Bei Ihrem Bruder im Bücherregal habe ich eine gesehen.«
»Wieso interessiert Sie das?«
»Ist nicht wirklich wichtig. Eher ein Kuriosum. Sie waren gestern nicht mit, als Ihre Eltern den Leichnam Ihres Bruders identifizierten«, wechselte Freund das Thema.
Nachdenklich starrte Tann-Dorin an Freund vorbei ins Nichts.
»Der Bruder meines Großvaters starb 1934, glaube ich«, sagte er schließlich. »Das fällt mir als Einziges ein. Cornelius Dorin.«
CD .
»Wissen Sie noch mehr?«
»Autounfall, glaube ich. In der Familiengeschichte findet sich nicht viel mehr, wenn ich mich recht erinnere. Im Familienarchiv gibt es ein paar Briefe von ihm.«
Freund musste sich bremsen. Warum sollte Florian Dorin einen Zettel mit dem Todesjahr eines vor achtzig Jahren verstorbenen Großonkels mit sich herumschleppen?
»Wenn es wichtig ist, kann ich Ihnen Kopien der Briefe besorgen. Aber nicht mehr heute.«
Freund wusste nicht, ob es wichtig war. Er glaubte nicht, dass »1934« wirklich eine Jahreszahl und » CD« Cornelius Dorin bedeuteten, geschweige denn für seine Ermittlungen wichtig waren.
»Das wäre nett«, sagte er trotzdem. Doch eigentlich nur, weil er gern in alten Briefen und Tagebüchern las. Er liebte die ungewohnten Formulierungen, die allein ihn schon in die Zeit zurückversetzten, die Beschreibungen versunkener Welten.
»Treffen wir uns morgen Vormittag vor dem Haus meiner Eltern«, schlug Tann-Dorin vor. »Sagen wir, elf Uhr?«
Freund nickte.
»Vor dem Begräbnis wird eine Totenwache im Haus meiner Eltern stattfinden«, erklärte Tann-Dorin zum Abschied. »Um Ihre Frage von vorhin zu beantworten. Das reicht mir. Ich behalte meinen Bruder lieber anders in Erinnerung.«
Was hatte es ihm gebracht?
Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen stand der Pepe in Freunds
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