Wienerherz - Kriminalroman
Mund.
»Meine Familie hat bislang nicht einmal Sonntagsmaler oder Hausmusikanten hervorgebracht. Auch wenn wir als Kinder mit Geigen- oder Klavierunterricht malträtiert wurden.«
Er war etwa so groß wie Freund, hatte die asketische Konstitution seines Bruders Leopold, dessen Haaransatz, allerdings auf Millimeterlänge gekürzt, und freundliche blaue Augen. Sein Arbeitsoverall war über und über mit Farben bekleckst. Es roch nach Ölfarbe und Terpentin.
»Sie kommen sicher wegen meines Bruders«, sagte er bedrückt.
Seine Bilder waren groß, Freund erkannte darauf nur bunte Farbfelder. Sie gefielen ihm. An den Wänden hingen mehrere halb fertige Arbeiten, in einem raumhohen Regal standen viele weitere, in Blisterfolie verpackt.
»Und – hat es geholfen?«, fragte Freund. »Ich meine, das mit dem Namen.«
»Ich weiß nicht, wie es im anderen Fall gewesen wäre.«
»Ist das nicht schwierig mit zwei Namen, zwei Identitäten?«
»Man gewöhnt sich daran.«
»Wenn ich Sie auf der Straße kennenlerne, als wer stellen Sie sich vor?«
»Peer Tann, Maler.«
»Können Sie mir trotzdem etwas über Ihren Bruder erzählen?«
Tann-Dorin runzelte die Stirn.
»Ich verstehe schon, dass Sie von der Polizei sind. Aber ich dachte, es war Selbstmord. Was wollen Sie da noch wissen?«
»Höchstwahrscheinlich war es Selbstmord. Aber ich möchte sichergehen.«
Tann-Dorin musterte ihn.
»Das wird meinen Bruder freuen.«
»Leopold?«
»Florian hat sich ja gern in den Medien getummelt. Bibi – entschuldigen Sie –, Leopold, Bibi nennen wir ihn in der Familie, fand das immer furchtbar. Er beschwerte sich, dass es dem Ansehen der Familie schade. Damit meinte er natürlich vor allem die Bank und seine Geschäfte. Wenn jetzt die Polizei in Florians Tod herumstochert, wird die Berichterstattung nicht lange auf sich warten lassen.«
»Wir versuchen, diskret zu sein.«
»Wie kommen Sie darauf, dass es kein Suizid gewesen sein könnte?«
»Ermittlergeheimnis.«
»Na, hoffentlich behalte ich dann nicht meine Familiengeheimnisse für mich.« Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Scherz! Was wollten Sie fragen?«
»Wie war Ihr Verhältnis zu Ihrem Bruder?«
»Oha! Brauche ich einen Anwalt?«
»Das müssen Sie wissen. Eigentlich geht es mir nur darum, ob Sie regelmäßigen Kontakt zu ihm hatten und mir überhaupt etwas sagen können.«
»Doch, doch, wir sahen uns öfter. Zuletzt vor ein paar Tagen. Er schaute sogar gelegentlich hier vorbei, manchmal brachte er auch wen mit, der sich für Kunst interessierte. Ab und zu verkaufte ich ein Bild an diese Leute. Ich glaube, er hatte so etwas wie ein Großer-Bruder-Syndrom, das Gefühl, mich unterstützen zu müssen. Für Kunst interessierte er sich nämlich nicht wirklich. Aber ich fand es immer nett von ihm. Ich besuchte ihn manchmal auf seinem Landgut …«
»Das Schloss …«
»So kann man es auch nennen. Er schmiss gute Partys.«
»Fiel Ihnen in letzter Zeit an ihm etwas Ungewöhnliches auf?«
»Nicht wirklich. Die Midlife-Crisis hatte ihn erwischt, er fing an, ins Fitnessstudio zu gehen, zu laufen, gesundes Essen, der ganze Kram.«
»Und seine Geschäfte?«
»Die Geschäfte meiner Familie haben mich nie interessiert. Bei uns zu Hause wurde über nichts anderes gesprochen. Ich fand das immer sterbenslangweilig. Lieber ging ich mit meiner Mutter ins Museum oder in die Oper. Sehen Sie, die Rollen bei uns waren früh klar. Florian war der Älteste, das Lieblingskind unseres Vaters, und wurde von ihm darauf gedrillt, eines Tages die Konzernführung zu übernehmen. Er hatte aber gar keine Lust dazu. In der Schule und während des Studiums interessierte er sich nur für Mädchen und Partys, ein paar Drogen hat er auch ausprobiert, wenigstens die weicheren. Das hat er aber bald wieder gelassen. Unserem Vater zuliebe fing er dann doch bei einem der Betriebe an, erwies sich allerdings als – nennen wir es einmal nicht besonders engagiert. Leopold dagegen war von Beginn an das Wunderkind. Musste er auch sein, um gegen den geliebten Erstgeborenen wenigstens eine leise Chance zu haben. Erst als mein Vater erkannte, dass Florian nicht dazu taugt, übergab er widerwillig an Leopold. Der seine Sache ganz gut macht, wie es aussieht. Solide, uninspiriert, aber erfolgreich. Und darauf kommt es bei uns letztlich an. Ich als Jüngster genoss eine gewisse Narrenfreiheit. Als ich im Gymnasium erklärte, Künstler werden zu wollen, drohte er mir zwar mit Enterbung, aber Sie wissen ja,
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