Wienerherz - Kriminalroman
Büro.
»Sie ermitteln im Fall Florian Dorin?«
Freund erzählte von den zusammengebissenen Zähnen und dem gebrochenen Finger.
»Dünn«, bemerkte der Präsident.
»Zu dünn?«
»Die Dorins sind gut bekannt mit dem Justizminister. Und mit dem Wirtschaftsminister. Und mit … ach, eigentlich mit allen.«
»Verstehe.«
»Und sie wollen ihren Sohn respektive Bruder, Vater, Ex-Mann begraben.«
»Natürlich.«
Der Pepe fixierte ihn.
»Ihre Entscheidung«, sagte er.
Freund nickte.
Auf dem Weg nach Meidling stellte Freund fest, dass er, obwohl er in Wien aufgewachsen war, mit dem Bezirk in erster Linie das »Meidlinger L« verband. Die Art, diesen Buchstaben auszusprechen – bei der man die Luft statt an beiden Zungenseiten nur an einer vorbeiließ –, galt früher als Inbegriff des Wiener Arbeiterdialekts.
Gundi Bielert sprach das L ganz normal aus.
»Die Polizei, dein Freund und Helfer«, sagte sie lachend, als er sich vorstellte. Freund erwog zum unzähligsten Mal eine Namensänderung. Vielleicht hätte er bei der Hochzeit Claudias Namen annehmen sollen.
»Florian ist tot? Deshalb hat er sich nicht gemeldet.«
Sie schien nicht übermäßig erschüttert. Sie war eine drahtige, braun gebrannte Blondine mit sehr bunter, eng anliegender Kleidung und langen künstlichen Fingernägeln. An einem Finger bemerkte Freund einen Ehering. Sie arbeitete als Sachbearbeiterin bei einer Versicherung, hatte aber ein paar Tage freigenommen. Kennengelernt hatten sie sich bei einer Abendveranstaltung.
»Der Arme«, bemerkte sie nur, als Freund auf ihre Frage die Todesursache schilderte.
Die erste Person, die so reagiert, dachte Freund.
Im Wohnzimmer der kleinen Neubauwohnung mit modernen Möbeln und vielen Zimmerpflanzen servierte sie Kaffee. Ausgezeichneten, wie Freund feststellte. An den Wänden erinnerten vergrößerte Fotos an Reisen in exotische Länder. Immer mit dabei war ein gut aussehender dunkelhaariger Mittdreißiger.
»Sie sind verheiratet«, bemerkte Freund.
»Er ist viel unterwegs«, erwiderte Bielert. »Oft wochenlang.«
Sie begriff, worauf Freund hinauswollte.
»Ach du liebe Güte! Sie glauben doch nicht …! Herbert hatte natürlich keine Ahnung von meinem Verhältnis zu Florian. Außerdem ist er seit zwei Wochen in Indonesien. Ich bitte Sie nur, dabei diskret zu sein. Ist ja unangenehm, wenn jemand von der Polizei bei seinem Arbeitgeber anruft und nachfragt.«
Freund sicherte ihr Fingerspitzengefühl zu.
»Unterhaltsam und charmant war Florian ja«, sagte sie. »Und großzügig auch, da kann man gar nichts sagen.«
»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
»Letzte Woche. Wir waren mit Freunden beim Heurigen. Danach haben wir noch ein paarmal telefoniert, aber er hatte viel zu tun.«
Freund fiel ein, was ihm Manuela Korn erzählt hatte.
»Wissen Sie, ob Herr Dorin ein Tagebuch führte?«
»Manchmal habe ich gesehen, wie er am Abend noch Notizen machte. Ob das ein Tagebuch war, weiß ich nicht.«
»Benutzte er ein Buch, ein Heft?«
»Ein kleines Büchlein, so eines mit einem Gummiband herum, Sie wissen schon.«
»Wissen Sie, wo er es aufbewahrte?«
»Tut mir leid.«
»Florian Dorin war ja bekannt für seine Frauengeschichten. Wussten Sie, ob er noch andere Freundinnen hatte?«
»Sie meinen, neben mir?« Sie zuckte mit den Schultern. »Kann schon sein. War mir egal. Solange er zu mir nett war. Die Geschichte war nicht für die Ewigkeit, so viel wusste ich.«
Freund konnte sich vorstellen, dass Dorin sich in ihrer Gegenwart wohlgefühlt hatte, sie strahlte eine unkomplizierte Menschlichkeit aus.
Nein, aufgefallen sei ihr nichts. Ein wenig abgenommen hatte er.
»Weil ich ihn manchmal in seinen Schwimmreifen gezwickt habe.«
So sympathisch war sie ihm eben noch gewesen! Vorbei. Auf einen Schlag verstand er nicht mehr, was Dorin an ihr gefunden hatte. Wollte er sich quälen lassen? Aber auch umgekehrt fragte er sich langsam, was Florian Dorin so anziehend und unterhaltsam gemacht haben sollte. Erinnern konnten sich alle nur daran, dass er zuletzt ein wenig Gewicht verloren hatte. Was hatte es ihm gebracht? Tot war er.
Mordswut
Am Nachmittag hatte Lukas Spazier versucht, jene Nachbarn Florian Dorins zu befragen, die sie bislang noch nicht angetroffen hatten. Drei konnte er interviewen, doch das führte nicht zu neuen Erkenntnissen. Bei der Gelegenheit brachte er aus Dorins Haus die Familienchronik mit, um die Freund ihn gebeten hatte.
Der Vorteil des Motorrads war, dass Lukas Spazier
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