Wienerherz - Kriminalroman
sie. »Hast du keinen Hunger?«
»Deine Schilderungen haben mir den Appetit verdorben.«
»Damit kein falscher Eindruck entsteht: Nicht überall, wo viel Geld im Spiel ist, wird auch betrogen, gewaschen oder gemordet. Kaffee?«
Sie nahmen zwei Espressi.
»Hattest du Dorin schon einmal im Visier?«, wollte Freund wissen.
»In einem meiner Fälle tauchte er am Rande auf. Wir konnten der Sache nicht weiter nachgehen, weil die Suppe nach Ansicht der Oberstaatsanwaltschaft zu dünn war und wir sowieso chronisch überlastet sind. Im Übrigen gilt in all diesen Fällen: Wo kein Kläger, da kein Richter. Und die Beteiligten rennen üblicherweise nicht zur Polizei, um ihre Komplizen anzuschwärzen. Sonst wären sie selbst ja auch dran. Da müssen schon die Behörden etwas entdecken oder ein Dritter Anzeige erstatten, etwa ein geschädigter Aktionär, Konkurrent, Mitbieter um ein Unternehmen oder Projekt. Ohne handfeste Beweise verläuft das aber schnell im Sand. Dazu kommt noch das Problem der nationalen Justizzuständigkeit. Wenn jemand im Ausland linke Geschäfte macht, interessiert das einen österreichischen Untersuchungsrichter nur bedingt, solange nicht in Österreich Gesetze verletzt wurden. Er kann dann höchstens die Behörden des betreffenden Landes informieren. Ob die der Sache nachgehen, bleibt ihnen überlassen.«
»Wenn ich deine Ausführungen richtig verstanden habe, muss ich in Dorins Geschäfte eintauchen, falls das Motiv für einen – möglichen – Mord dort liegt.«
»In diesem Fall sehen wir uns bald wieder. Die Flüsse des Geldes in solchen Transaktionen nachzuverfolgen dauert Monate, manchmal Jahre. Du musst an verschiedene Staaten Rechtshilfeansuchen stellen, um Bankkonten einsehen zu können. Wie kooperativ Liechtenstein, die Schweiz, die Bahamas, die englische Königin – ihr gehören quasi die Kanalinseln – und nicht zuletzt wir selber mit unserem sogenannten Bankgeheimnis sind, ist hinlänglich bekannt. Besser wäre, du findest das Motiv woanders. Halt dich an deinen Flüchtigen.«
Zurück ins Büro spazierte Freund durch die Berggasse, vorbei am Sigmund Freud Museum. In einer Trafik am Weg kaufte er eine Zeitung, mit der er es sich an seinem Schreibtisch bequem machte. Er blätterte, las kaum. Wirklich wichtige Dinge erfuhr man auch so. Da kamen die Leute von ganz alleine angerannt und fragten: Hast du schon gehört?
Er war fast durch, als ihm die Anzeige in die Augen stach. Auf einer halben Seite mit schwarzem Rahmen und Kreuz verabschiedete sich die Familie Dorin von ihrem geliebten Sohn, Bruder, Vater, Schwager. Die Beisetzung würde in privatem Rahmen stattfinden.
Sobald wir den Leichnam freigegeben haben, dachte Freund.
Von Kränzen und anderen Trauerbekundungen bat die Familie abzusehen.
Jetzt durchsuchte er die Zeitung doch genauer. Schließlich fand er im Chronikteil eine winzige Notiz, dass der bekannte Unternehmer Florian Dorin unerwartet gestorben war. Kein Wort über die Todesursache oder Dorins Societyleben. So laut gelebt, so leise gegangen, dachte Freund. Vielleicht hatten aber auch Leopolds Anwälte bei den Medien deponiert, dass man in dieser Situation ein Ausschlachten der Privatsphäre des Toten nicht dulden würde. Eine gut bezahlte Anzeige ließ diesen Wunsch der Familie dann auch für die Verleger plausibel erscheinen, mutmaßte er.
Als Nächstes versuchte er, etwas über Dorins aktuelle Projekte herauszufinden. Nach ein paar Versuchen mit verschiedenen Stichworten spuckten die Internet-Suchmaschinen einige Meldungen aus. Die jüngsten Artikel berichteten von einer Beteiligung Dorins an einem Anlagenbau-Unternehmen, das beste Aussichten auf milliardenhohe Großaufträge in Deutschland hatte. Gerüchten zufolge existierten im Hintergrund Finanziers, von denen Dorin das Geld hatte. Wie Tognazzi es beschrieben hatte. Namentlich genannt wurde ein kasachischer Milliardär, Oleg Kurbajew. Diese Konstellation beschäftigte die Berichterstattung am meisten. Über die anderen Engagements Dorins fand er bedeutend weniger aus der jüngeren Vergangenheit, allerdings besaß er diese schon länger, teilweise seit Jahren. Dazu gehörten zwanzig Prozent an einer Textilproduktion in Polen, fünf Prozent an einem Autospezialzulieferer in Tschechien, fünfundzwanzig Prozent an einem Metallverarbeitungskonzern mit Standorten in sechs Ländern und zehn Prozent an einem Immobilienunternehmen mit einem Portfolio in acht europäischen Staaten. Der Name des ehemaligen Ministers, mit
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