Wienerherz - Kriminalroman
ging durch Dorin. »Sind Sie deshalb hier?«
Er leugnete es nicht. Gab es aber auch nicht zu. Die Sorte kannte Freund. Nur zugeben, was bewiesen werden kann.
»Eine Nachbarin hat Sie gesehen.«
Er nickte, wie man es tut, wenn man keine andere Wahl hatte.
»Ich frage mich, warum Sie mir nichts davon gesagt haben.«
»Weil es nichts zur Sache tut.«
»Das hätte ich gerne selbst beurteilt.«
Dorins Gesicht wurde noch maskenhafter als sonst.
»Sehr geehrter Herr Inspektor. Womit Sie hier zwei Tage vor dem Begräbnis meines Bruder auftauchen, überschreitet die Grenzen des Anstands.«
Deeskalation: »Eigentlich wollte ich Sie nur fragen, ob Ihnen nicht doch etwas aufgefallen ist? Schließlich waren Sie einer der Letzten, die ihn lebend gesehen haben.«
»Nein. Sonst hätte ich es Ihnen neulich gesagt.«
Freund hatte keinerlei Beweis für irgendetwas. Eigentlich nicht einmal ein Gefühl. Leopold Dorin war ihm nicht sonderlich sympathisch, aber ob er etwas mit dem Tod seines Bruders zu tun hatte?
»Andere Frage: Hat Ihr Bruder über Ihre Bank Geschäfte abgewickelt?«
»Sie wissen, dass ich das nicht beantworten kann.«
»Früher oder später finden wir es heraus. Und dann müssen Sie uns Einsicht in allfällige Konten geben …«
»Was wir selbstverständlich und ohne Zögern tun werden. Aber nicht ohne richterlichen Beschluss. Nicht weil wir etwas zu verbergen hätten. Aber ich muss die Vertraulichkeit unserer Kunden wahren.«
Selten war Freund auf einen so glatten Kandidaten getroffen. Er wollte ihn nicht einmal Widersacher nennen. Schließlich hatte Leopold Dorin ihm von Florians Geldproblemen erzählt.
»Warum haben Sie ihn denn nun besucht?«
»Ich sagte schon …«
»… ich auch.«
Freund seufzte.
»Bis zu diesem Termin dachte ich, wir hätten eine gute Gesprächsbasis.«
»Das dachte ich bisher auch.«
»Es tut mir leid. Sie müssen mir schon vertrauen, dass es für Sie nicht von Belang ist.«
Freund wurde sauer. »Mir tut es auch leid, aber in Banker habe ich kein Vertrauen.«
Dorin lachte tatsächlich.
»Oha, jetzt wird es aber persönlich. Wenn Sie mir ohnehin nicht glauben, warum sollte ich dann etwas erzählen?«
Touché. Freund ärgerte sich, dass er sich zu einer so unnötigen Bemerkung hatte hinreißen lassen.
»Dann frage ich einmal ganz direkt: Wie lange waren Sie denn bei Ihrem Bruder?«
Dorin schnaubte spöttisch. »Eine halbe Stunde vielleicht. Um acht Uhr hatte ich eine Abendveranstaltung im Palais Ferstel. Falls Sie das interessiert, was ich annehme.«
Er griff hinter sich, nahm eine Broschüre von einer Ablage, reichte sie Freund.
»Hier. Dort blieb ich etwa bis zwölf. In dem Veranstaltungsheft sehen Sie, wen Sie fragen können. Da Sie mir nicht vertrauen. Danach fuhr ich nach Hause.«
Würde sich knapp ausgehen, dachte Freund. Aber er hatte nichts in der Hand. Nur eine Broschüre.
Feuer, Wasser, Erde, Luft
Als er nach Hause kam, stieg ihm schon an der Wohnungstür der Essensduft in die Nase.
»Was gibt es denn Köstliches?«
»Linseneintopf nach einem chinesischen Rezept«, erklärte Clara neunmalklug. »Da sind alle Elemente drin vertreten, Feuer, Wasser, Erde, Luft.«
»Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser«, korrigierte Claudia. Mit ihrem Fitnesstick hatte sie eine Begeisterung für Speisen entwickelt, die nach traditionell chinesischer Medizin oder ayurvedischen Rezepten zubereitet wurden. Freund fragte sich, wie man in dieses Konzept Schinkenfleckerln integrieren konnte. Aber er musste zugeben, dass ihm die meisten Gerichte schmeckten. Und auch heute ließ ihm der Geruch das Wasser im Mund zusammenlaufen.
»Ist dazu ein Schluck Bier erlaubt?«
Claudia warf einen dezenten Blick auf seinen Bauch.
»Wenn du unbedingt musst.«
Danke, jetzt nicht mehr. Er seufzte innerlich. Das Bittere war, dass sie recht hatte.
»Joachim Thaler?«, lachte sie, als er ihr von seinen vergeblichen Versuchen erzählte, einen Termin mit dem Ex-Politiker zustande zu bringen. »Willst du Ärger?«
»Ich habe Dorin nicht als Letzter in seinem Büro besucht. Ich kann mir meine Zeugen und Verdächtigen nicht aussuchen.«
Der chinesische Linseneintopf schmeckte hervorragend. Mit den Kindern plauderte er über die Schule und ihre Freunde. Von seiner Arbeit erzählte er in kinderverträglicher Form. Sein Vater hatte Freund immer zu wenig über seinen Beruf erzählt, obwohl er sich als Bub dafür interessiert hatte. So ahnungslos sollten seine beiden nicht aufwachsen. Auch
Weitere Kostenlose Bücher