Wienerherz - Kriminalroman
nicht.«
»Welche Kollegen? Ist jemand hier?«
»Nein. Warte, ich habe eine Karte.«
Sie reichte ihr eine Visitenkarte. Petzold speicherte die Nummer in ihrem Handy.
»Was sagen die Ärzte?«
»Ein Wunder, dass sie nicht sofort tot war, nach den Schilderungen der Notärzte und der Feuerwehr.«
Sie rang um Fassung.
»Das Auto muss mehrere Meter tief von der Fahrbahn gestürzt sein, du weißt schon, da wo die Autobahn auf Stelzen durch den Prater führt.«
»Wissen Sie, in welchem Wagen Doreen unterwegs war? Im Oldtimer oder im Mini?«
Der Oldtimer war hübsch, aber so sicher wie ein fahrender Sarg. Petzold hoffte auf den Mini. Frau Niklic sah sie groß an.
»Nein. Und ich habe die Polizisten auch nicht gefragt.«
»Sind Sie von der Polizei informiert worden?«
»Der Beamte, dessen Karte ich dir gezeigt habe, rief mich an.«
»Kann man zu ihr?«
»Sie wird noch operiert.« Ihre Lippen zitterten.
Petzold umarmte sie. So standen sie eine Minute da. Dann löste sie sich wieder.
»Ich komme wieder vorbei«, sagte sie. »Etwas später.«
Sie ging zu Freund, der die Szene aus der Entfernung beobachtet hatte. Währenddessen rief sie den Beamten an, dessen Nummer ihr Doreens Mutter gegeben hatte. Petzold stupste Freund am Arm, gab ihm zu verstehen, dass sie den Flur hinuntergehen sollten, in Richtung der Fahrstühle.
Nachdem sie das Gespräch beendet hatte, sah sie sich kurz um. Frau Niklic lief unruhig auf und ab. Petzold bog mit Freund um die Ecke in den Bereich vor den Fahrstühlen. Hier konnten sie reden.
»Es war kein Unfall«, erklärte sie dem Chefinspektor. »Mehrere Augenzeugen haben gesehen, wie zwei Geländewagen Doreens Auto von der Straße drängten.«
Chefinspektor Freund hörte mit ernstem Blick zu. Er zückte sein Mobiltelefon und forderte Personenschutz für die zwei Verletzten an.
Als er wieder aufgelegt hatte, sagte er: »Wo wir schon hier sind, schauen wir gleich noch bei jemand anderem vorbei.«
Phantom
Zwei Stockwerke tiefer lag Marie Liebar. Sie hatte Besuch. Auf einem Stuhl neben dem Bett saß eine Kollegin von Petzold und Freund. Gemeinsam schauten sie in einen Laptop. Liebar nur mit einem Auge, das andere war blau und zugeschwollen.
»Wie geht es Ihnen?«, wollte Freund wissen, nachdem er Petzold vorgestellt hatte.
»Danke, den Umständen entsprechend. Morgen darf ich raus, sagen die Ärzte.«
»Das ist fein. Ist Ihnen noch etwas eingefallen, was uns weiterhelfen könnte?«
»Nein. Obwohl ich an kaum etwas anderes denken konnte, seit ich hier bin.«
»Haben Sie psychologische Unterstützung bekommen?«
Immer ermunterten sie die Opfer von Gewalttaten, sich von Psychologen helfen zu lassen. Zu viele versuchten, allein mit dem Geschehenen fertigzuwerden, hielten den Besuch beim Therapeuten für Schwäche. Petzold war es nicht anders gegangen. Dabei hatte sie anderen schon oft den Rat gegeben. Als es für sie selbst so weit war, lernte sie ihre eigenen inneren Barrieren gegen einen solchen Schritt kennen. Wochenlang hatte sie das erste Treffen mit dem Polizeipsychologen mit teils absurden Ausreden verschoben. Bis sie sich eines Morgens hemmungslos heulend auf ihrem Wohnzimmersofa wiederfand und nicht mehr aufhören konnte. Zwei Dutzend Sitzungen und drei Monate später hatte sie das Erlebte einigermaßen verarbeitet, sodass es nicht mehr täglicher Aufruhr in ihrem Kopf und Körper war, sondern nur mehr ein altes Bild, das sie auf dem Speicher verstaut hatte.
»Jetzt wissen wir, wie sie ausgesehen haben«, verkündete die Kollegin. Auf dem Bildschirm zeigte sie Petzold und Freund ein Phantombild. Ein kantiges Gesicht, dunkle Haare, schmal zusammenstehende Augen. Das zweite präsentierte einen runden Kopf, millimeterkurz geschorene Haare, eine Knubbelnase über fleischigen Lippen.
»Am dritten arbeiten wir noch.«
Napoleon
Im Büro wartete bereits der Polizist, mit dem Petzold im Krankenhaus telefoniert hatte, ein junger Mann mit muskulösem Oberkörper und kurz rasierten Haaren.
»Das müssen Sie sich ansehen«, sagte er. »Ich habe Ihnen die Datei per E-Mail geschickt. Wie in einem Actionfilm.«
Freund öffnete seinen elektronischen Postkasten. Er fand mehrere E-Mails des Beamten.
»Wir haben sie aufgestückelt«, erklärte der Polizist, »damit die Datenpakete nicht zu groß sind.«
Freund öffnete die Datei.
»Der Beifahrer eines Wagens hinter den Leuten reagierte geistesgegenwärtig und filmte mit seinem Handy die ganze Aktion«, fuhr der Mann fort. »Die
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