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Wienerherz - Kriminalroman

Wienerherz - Kriminalroman

Titel: Wienerherz - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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Claudia versuchte, ihr Tun den Kindern näherzubringen. Angesichts der Materie Wirtschaftsrecht kein einfaches Unterfangen, aber es gelang ihr ganz gut, die Dinge so zu erklären, dass die Kinder – und Freund – sie verstanden.
    Freund beschrieb auch seinen Besuch im Friedahaus.
    »Ist ja sehr anständig, dass die Dame Almosen verteilt«, bemerkte Claudia. »Während ihr Mann und seine Freunde in Politik und Wirtschaft ein System kreieren, das die Reichen immer reicher, die Mittelschicht und die Armen dagegen immer ärmer macht, und damit immer mehr Bedürftige schaffen.«
    »Von diesem System lebt eure Kanzlei aber nicht schlecht. Du solltest in die Politik gehen, wenn du das ändern willst.«
    »Was ändert denn die Politik heute noch? Oder anders gesagt: Was ändert die Politik, was nicht im persönlichen Interesse jener wenigen an den Futtertrögen ist?«
    Besorgt hatte Freund während der vergangenen Jahre in seinem Umfeld das Wachsen einer ähnlichen Haltung festgestellt. Auch er selbst konnte sich nicht entziehen. Unrecht hatte Claudia nicht. Die Zahlen waren deutlich. Die gesellschaftliche Schere ging immer weiter auf. Während der vergangenen zwanzig Jahre hatte die überwiegende Mehrheit der Österreicher, aber auch der Deutschen und meisten anderen Westeuropäer, laufend Realeinkommen verloren. Die Summen auf dem Lohnzettel waren zwar gewachsen, doch für das Geld bekamen sie immer weniger. Was taten sie dagegen? Mehr arbeiten, statt sich zu wehren.
    »Glaubst du denn«, fragte er, »dass das jemals anders war?«
    »Du hast ja recht. Damals hat man wahrscheinlich bloß nicht so viel über die Mauscheleien gewusst.«
    »Ich glaube, dass sich nicht nur die Zustände verändert haben. Auch unsere Erwartungen sind heute andere. Unsere Großeltern waren froh, dass sie den Krieg überlebt hatten. Für unsere Eltern wurde es seit ihrer Kindheit wirtschaftlich fast immer nur besser, von ein paar kleinen Dellen abgesehen, worüber sollten sie sich beklagen? Dass ein paar wenige noch viel mehr davon profitierten, störte sie da nicht.«
    Populärwissenschaftler nannten das den Fahrstuhleffekt, erinnerte sich Freund, wenn es für alle aufwärtsging. Abgelöst hatte ihn der Paternostereffekt: Damit einige weiter nach oben kamen, mussten auf der anderen Seite mehr hinunter. Schuld daran war eine Politik, die mit Ronald Reagan und Margaret Thatcher begonnen hatte. Sie hatte die europäische Nachkriegsgesellschaft mit ihrer sozialen Marktwirtschaft in eine Gladiatorenarena verwandelt.
    Seine Freunde und Bekannten, jene Leute, die man Mittelschicht nannte, hatten Angst. Vor dem Verschwinden der Strukturen, in denen sie aufgewachsen waren, die sie kannten, mit denen sie umgehen konnten, Angst vor dem Neuen, Angst vor Jobverlust, Arbeitslosigkeit, Armut im Alter, Abstieg. Dort zu landen, wo Freund heute gewesen war. Das Gefühl der Ungerechtigkeit wuchs. Korruption nahm überhand.
    In einem Buch über Wirtschaft, an den Titel konnte er sich nicht mehr erinnern, hatte Freund gelesen, dass all dies Symptome einer zunehmend instabil werdenden Gesellschaft waren, vorzugsweise während großer Wirtschaftskrisen. Vielleicht hatten ja jene Leute recht, die Europa eine »Brasilianisierung« voraussagten. Auf der einen Seite der Ghettomauern jene fünf Prozent, die sich Villen, Limousinen mit Chauffeur und den Hubschrauber zum Wochenendhaus leisten konnten, auf der anderen Seite die restlichen fünfundneunzig, die sich mit Müh und Not durchs Leben wurstelten. Ein paar wenige davon, die Reste des alten Wohlstands in die neuen Verhältnisse gerettet hatten, die Übrigen gänzlich abgestürzt, ohne regelmäßige Arbeit, Krankenversicherung, Pension, alles, was heute selbstverständlich erschien.
    Oder waren diese Schwarzmaler nur die regelmäßig auftauchenden Untergangspropheten? Freund konnte sich Wien so nicht vorstellen. Dabei war es bis vor hundert Jahren gar nicht viel anders gewesen, wenn er es recht bedachte. Auch damals lebten Hunderttausende Tagelöhner und Bettgeher in der Stadt, die binnen weniger Jahrzehnte auf eine Einwohnerschaft von fast zwei Millionen angewachsen war. Er schob die Gedanken zur Seite. So wie meistens. Sie brachten ihn nicht weiter. Er würde sein Teil tun, dass es nicht dazu kam. Für Recht und Ordnung sorgen. Mit den Mitteln, die ihm die Verfassung zugestand. Und zusehen, dass seine Kinder für diese Zukunft gerüstet waren. Ob Mathematikhausaufgaben und Latein dazugehörten?

Unschuldslamm
    »Tut

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