Wienerherz - Kriminalroman
Versetzung, womöglich – wie in diesem Fall – Beförderung des Verantwortlichen. Das sah völlig unverfänglich aus. Je später im Ermittlungsprozess, desto besser. Dann musste sich die oder der Neue in umso mehr Aktenmaterial einarbeiten. Bei der chronischen Überlastung des Personals konnte das Monate dauern, Freund wusste von noch länger dauernden Angelegenheiten. Auf diese Weise verschleppte man Fälle bis zur Verjährung.
Ich sehe schon Gespenster, dachte er. Er sollte sich und seinen Fall nicht so wichtig nehmen. Wahrscheinlich war diese Beförderung reiner Zufall.
»Haben Sie eine Nummer von Frau Dr. Sandleitner für mich?«
Der Untersuchungsrichter gab sie durch.
»Danke. Und viel Erfolg im neuen Job.«
»Viel Erfolg auch Ihnen«, sagte der Richter und legte auf.
»So eine Riesensauerei!«, brüllte Freund und drosch den Hörer so heftig auf die Telefonbasis, dass dieser wieder hochsprang, über den Schreibtisch hüpfte wie ein Fisch an Land, bis er sich über die Kante stürzte und an seinem Spiralkabel traurig ausbaumelte.
Marietta Varics Kopf tauchte in der Tür auf.
»Alles in Ordnung?«
»Das hoffen ein paar Leute.«
Freund angelte sich den Hörer und wählte die neue Nummer. Sandleitner meldete sich. Natürlich hatte sie den Akt noch nicht einmal angesehen.
»Und das werde ich heute auch nicht mehr. Es ist Freitagabend.«
Verblüfft sah Freund auf seine Uhr. Der kleine Zeiger stand bei der Drei. Er beschloss, nicht darauf zu insistieren, dass sie gerade einmal frühen Nachmittag hatten.
»Es ist wirklich wichtig«, beharrte er.
»Das ist immer alles. Mein Tisch biegt sich schon ohne die neuen Fälle.«
»Die Korruptionsstaatsanwaltschaft hat sich in den Fall auch bereits eingeschaltet«, schwindelte er. »Da wollen wir doch nicht hintanstehen, obwohl wir früher dran waren.«
»Ich habe den Akt erst heute bekommen.«
Es wird Zeit für die Erfindung des Telefons, durch das man Leute würgen kann, dachte Freund.
»In Verbindung mit dem Fall wurde gestern ein Anschlag auf Journalisten verübt. Dabei wurden zwei Menschen schwer verletzt.«
»Deshalb kann ich auch nicht schneller arbeiten, als ich es ohnehin schon tue. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.«
Fassungslos starrte Freund auf sein stummes Telefon.
Er ging hinüber zu Petzold und Wagner.
»Lia, besuchst du deine Journalistenfreundin zufällig heute noch einmal im Krankenhaus?«
Methoden
»Das ist typisch«, schimpfte Doreen Niklic.
»Bei uns ist das nicht anders«, erklärte Daniel Peloq vom Nebenbett.
Die beiden sahen schon wesentlich besser aus.
»Ich weiß«, sagte Petzold, »dass in den meisten Redaktionen nur mehr Praktikanten sitzen, die ihre Zeitungen mit Agenturmeldungen und Pressemitteilungen füllen, und Lohnschreiber das unterhaltsame Rahmenprogramm schaffen für die Themen-Specials, die ein Anzeigenverkäufer erfunden hat, um das passende Umfeld für seine Werbekunden zu schaffen.«
»Du übertreibst ein bisschen.«
»Aber ein paar investigative Journalisten gibt es sogar noch in diesem Land. Und du kennst sie. Glaubst du, die rufen bei einer Untersuchungsrichterin an und fragen sie, warum sie Konten eines Verdächtigen nicht öffnen lassen will, in einem Fall, der zwei Journalistenkollegen fast das Leben gekostet hätte?«
Niklic lachte. »Meine Liebe, ihr habt ja Methoden! Und du spekulierst natürlich darauf, dass andere Journalisten sofort anspringen, wenn sie einen der ihren angegriffen und bedroht sehen.«
Sie kicherte in sich hinein. »Wie recht du hast.«
Mit einem verschmitzten Ausdruck im Gesicht forderte sie: »Ein wenig mehr müsstest du mir aber schon erzählen.«
Sie richtete sich auf, schwang ihre Beine aus dem Bett.
»Hilf mir. Mein Handy ist da drüben in dem Kasten eingesperrt. Hier drin funktioniert es aber nicht. Der Empfang ist zu schlecht. Begleitest du mich ein wenig an die frische Luft, damit ich ein paar Leute anrufen kann?«
Ein Vorgeschmack
Der Montag begann mit einer bösen Überraschung. Statt des angekündigten Schönwetters bedeckte eine dichte Hochnebeldecke den Himmel. Ein Vorgeschmack auf den Winter. Während der kalten Jahreszeit hing das Grau oft wochenlang über der Stadt und zerrte an den Nerven ihrer Bewohner. Draußen war es kalt. Trotzdem fuhr Laurenz Freund mit dem Fahrrad ins Büro. Von seiner Wohnung im sechsten Bezirk benötigte er bis zum Kommissariat bequeme fünfzehn Minuten. Wenn notwendig, schaffte er es auch schneller. Wer so wohnte wie
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