Wienerherz - Kriminalroman
nicht, dass er sich genau am Tag nach Dorins Tod krankschreiben ließ.«
»Ein bemerkenswerter Zufall, immerhin«, sagte Freund. »Haben wir etwas über diesen Komeska? Komeska, Komeska, woher kenne ich den Namen?«
»Es gab einmal einen höheren Gewerkschaftsfunktionär«, erklärte das wandelnde Weltwissen Wagner, »der, wenn ich mich recht erinnere, eine Zeit lang auch Abgeordneter für die Sozialisten war, wie sie damals noch hießen. Wird aber nicht der Einzige mit diesem Namen sein.«
»In unseren Datenbanken findet man nichts, dieser Komeska ist unbescholten«, warf Spazier ein. »Aber wenn ihr mich bitte einmal ausreden lassen würdet. Wo er schon auftaucht, ist im Zulassungsregister. Und was findet man da? Sein Wagen ist in Wien zugelassen, mit dem Kennzeichen W 3745 K. Und der Wagentyp ist ein Mazda 626, Baujahr ‘95, Farbe dunkelblau.«
Das macht zwei bemerkenswerte Zufälle, dachte Petzold. Zwei Zufälle können schon einen ganzen Fall ergeben.
»Jetzt taucht in der Geschichte zum dritten Mal ein dunkles, älteres japanisches Auto auf«, stellte Freund fest. »Und zum zweiten Mal ein Wiener Kennzeichen, das mit der Drei beginnt. Besuchen wir den Herrn.«
Eine schlechte Angewohnheit
Das Navigationssystem schlug die Route über den Schwedenplatz und die Stadtautobahn 23 »Südosttangente« vor, doch Freund fuhr lieber durch die Stadt, über Zweierlinie, Wienzeile, Gürtel und Triester Straße, deren Namen die Richtung bezeichnete: die italienische Stadt am Mittelmeer, einst Hafen der Monarchie.
Spazier telefonierte während der ganzen Fahrt. Ihre Reise endete in Liesing, bei einem Wohnblock in einer Seitenstraße. An der Fassade erklärte eine Inschrift, dass sie wieder vor einem Gemeindebau standen. Komeska wohnte auf Stiege drei. Nachdem Freund mehrmals geläutet hatte, ohne dass jemand reagierte, klingelte er bei ein paar anderen. Schließlich ließ sie jemand ein, ohne dass er sich über die Sprechanlage vorstellen musste. Komeskas Apartment befand sich im dritten Stock. An der Türschnalle hingen ein paar Säckchen mit Werbesendungen. Hier war seit Tagen niemand mehr ein oder aus gegangen. Wie erwartet, regte sich niemand. Freund läutete an der Tür gegenüber. Eine Frau, nicht viel älter, aber deutlich kleiner und runder als er selbst, öffnete. Im Hintergrund hörte er Kinderstimmen. Er stellte sich vor und fragte, wann sie Emil Komeska antreffen konnten.
»Hat er was ausgefressen?«, fragte sie.
»Nein.«
»Ich habe ihn seit ein paar Tagen nicht gesehen«, erklärte sie. »Üblicherweise kommt er gegen sieben nach Hause. Aber ich bespitzle meine Nachbarn nicht, deshalb kann ich Ihnen das nicht so genau sagen.«
Wer seine Diskretion so betonte, wusste genau, was seine Nachbarn trieben, so viel hatte Freund in zwanzig Jahren Polizeidienst gelernt.
Seine Armbanduhr zeigte sechs.
»Wann haben Sie ihn denn zuletzt gesehen?«
Sie dachte nach. »Das ist ein paar Tage her. Warten Sie, es war Mittwoch vergangener Woche.«
Ein Tag nach Florian Dorins Tod.
»Ich kann mich so genau erinnern, weil mir vor der Wohnungstür mein Einkaufssackerl gerissen ist. Ich war gerade mit Aufklauben fertig, da kam er aus seiner Wohnung. Aber, wie gesagt, ich habe ihn oft wochenlang nicht gesehen, obwohl er sicher da war. Man hört ja, wenn die Tür auf- und zugemacht wird.«
»Haben Sie das in den letzten Tagen auch gehört?«
»Jetzt, wo Sie es sagen: Nein, habe ich nicht. Vielleicht ist er auf Urlaub.«
»Bei seinem Arbeitgeber hat er sich krankgemeldet.«
»Du liebe Güte. Hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen!«
Freund dankte ihr und verabschiedete sich. Sie schloss die Tür. Er wusste, dass sie ihn durch den Spion beobachten würde.
»Entweder er simuliert und ist einen heben, statt im Bett zu liegen«, meinte Spazier. »Oder er liegt da drin und kann sich nicht mehr bewegen.«
Spazier schlug mit der Faust gegen die Tür und rief Komeskas Namen.
Von drinnen hörten sie nichts.
»Bin gleich wieder da«, erklärte Freund und verschwand die Treppen hinunter. Er fand Komeskas Briefkasten, aus dessen Schlitz Prospekte quollen. Mit dem Mobiltelefon rief er Spazier an. »Ich lasse einen Schlüsseldienst kommen.«
Sie warteten in einem nahen Espresso. Der Mann vom Schlüsseldienst kam nach einer Stunde. Zum Öffnen der Tür benötigte er dreißig Sekunden.
»Herr Komeska?«
Keine Antwort.
Der Vorraum war sonnengelb gestrichen, dennoch wirkte er düster. Auf einem Kästchen neben der
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