Wienerherz - Kriminalroman
Gasse war an dieser Stelle nicht mehr ganz so belebt wie auf den ersten Metern nach der Mariahilfer Straße. Die Luft war kühl.
Fünf Minuten später spazierte Manuela Korn vorbei. Ihre Tochter hüpfte neben ihr her. Freund wartete. In verschiedenen Abständen folgten, einmal auf derselben, dann wieder auf der anderen Straßenseite, eine schwangere Frau, die einen Kinderbuggy mit einem Kleinkind darin vor sich herschob, ein junger Mann mit Botentasche, eine ältere Frau, die ein Einkaufswägelchen hinter sich herzog, drei Teenager auf Skateboards, ein Fahrradfahrer, ein Pärchen, ins Gespräch vertieft, eine Frau mit zwei vollen Einkaufstaschen. Freund wartete, bis Korn an der nächsten Kreuzung sein musste. Dann folgte er ihr.
Korns kreuzten die Burggasse, gingen die abschüssige Strecke bis zur Neustiftgasse, danach wieder bergauf zur Lerchenfelder Straße. Die Schwangere und die Frau mit den Taschen waren abgebogen, ebenso die Skateboardfahrer und die ältere Frau. Der Fahrradfahrer hatte sie längst überholt und war bereits weit in der Piaristengasse. Nur das Pärchen und der junge Mann waren noch in derselben Richtung unterwegs. Mittlerweile waren Neue dazugekommen, einige aber schnell auch wieder verschwunden, geblieben waren zwei Männer mittleren Alters auf Korns Straßenseite und zwei junge Frauen auf der anderen.
Spazier rief ihn auf dem Mobiltelefon an. Freund erzählte, wo er war. Zwei Minuten später hörte er hinter sich die Maschine. Spazier fuhr vorbei und überholte alle. Ein gutes Stück vor Manuela Korn stellte er das Gefährt ab. Wieder telefonierten sie miteinander. Freund erklärte kurz, wer in Frage kam, und wählte eine andere Route. Telefonisch blieb er in Verbindung mit Spazier. Freund musste daran denken, wie selbstverständlich telefonierende Menschen auf der Straße heute waren. Vor zwanzig Jahren waren es nur ein paar Angeber mit gurkengroßen Geräten gewesen, in seiner Kindheit hätte man allein die Vorstellung für absurd erklärt. Manche Leute hatten selbst zu Hause nur einen Viertelanschluss, den sie sich mit anderen Postkunden (ja, damals war das noch die Post) teilen mussten. Telefonierte einer davon, mussten die anderen warten, bis er die Leitung wieder freigab, um ein Gespräch zu führen. Heute konnte Freund in der U-Bahn an zwanzig Telefongesprächen gleichzeitig teilhaben.
Freund nutzte seinen Spaziergang, um die neuen Geschäfte der Gegend zu begutachten. Währenddessen reportierte Spazier durchs Handy, wer von den ursprünglichen Begleitern verloren gegangen und wer neu dazugekommen war. Von den ursprünglichen schien nur mehr der junge Mann mit der Botentasche denselben Weg zu verfolgen wie Manuela und Marlies Korn. Freund kehrte auf die Stammstrecke zurück und schloss zu Spazier auf. Zwei Straßenzüge weiter, mittlerweile fast im neunten Bezirk, verschwanden die Korns schließlich in einem schönen Altbau. Der junge Mann ging an dem Haus vorbei.
»Du bleibst an ihm dran«, sagte Freund, ohne stehen zu bleiben. »Ich schaue, ob er hier von jemandem erwartet und abgelöst wurde.«
Bis zur nächsten Kreuzung begleitete er Spazier. Dann stellte er sich hinter eine Hausecke und beobachtete die Straße. Niemand Auffälliges kam vorbei. Nach fünf Minuten rief Spazier an.
»Der Typ ist in einem Wohnhaus verschwunden. Schätze, es war falscher Alarm.«
Freund wählte Manuela Korns Nummer und gab fürs Erste Entwarnung.
»Was geschieht jetzt weiter?«, wollte sie wissen.
»Vorläufig müssen wir abwarten, ob sich die Person wirklich wieder meldet. Trotzdem sollten Sie mit Florians Familie sprechen. Am besten machen wir das so schnell wie möglich. Ich habe Ihnen nämlich etwas mitzuteilen, wozu ich vorher nicht gekommen bin. Haben Sie heute Nachmittag noch Zeit?«
Prinzipiell
Eine Stunde später saßen sie alle bei Dorins auf dem Sofa. Mit Marlies spielte derweil ein Dienstmädchen.
Manuela Korn hatte ihren ehemaligen Schwiegereltern und ihrem Ex-Schwager von der Forderung erzählt. Dabei hatte Freund bemerkt, wie sich die Mienen von Vater und Sohn Dorin verhärtet hatten. Den Grund dafür konnte er nur raten. Entweder erregten sie sich über die Schwierigkeiten, in die Florian sich – und womöglich sie – gebracht hatte. Oder es war die Annahme einer Kampfansage. Oder …
Freund musste abwarten, ob sie sich äußern würden.
Florian Dorins andere Ex-Frau hatte sich nicht gemeldet. Mit Freunds Einverständnis rief Leopold Dorin sie an. Er erklärte ihr, was
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