Wieweitdugehst - Wieweitdugehst
seinem Sohn?«
»Er besuchte den Jungen bei dessen Mutter. Oder sie fuhren am Wochenende zusammen weg.«
»Ein ganzes Wochenende?«
»Jedes zweite.« Ihre Stimme trug kaum noch. Sie verklang in diesem kleinen, engen, stickigen Raum. Liliana bekam Platzangst.
»Hat Sie das nicht geärgert? Dass Sie jedes zweite Wochenende allein zubringen mussten?«, erkundigte sich Marek Weiß.
Wie sie dieses unverbindliche Lächeln hasste! Er tat höflich, aber in seinem Benehmen lag eine Kälte, die ihr bis in die Knochen fuhr.
»Ich habe mir ausbedungen, dass er den Jungen nicht bei uns zu Hause unterbringt. Ansonsten war das o. k.« Es war nicht o. k. Liliana atmete hastig. Nicht o. k., nicht o. k. Sie hatte es gehasst. Es hatte ihr eine unsägliche Pein bereitet, Bert mit dem kleinen Marius zu wissen und nicht mit Johannes. Ihrem gemeinsamen Sohn. Ihrem Sohn.
»Von wegen.« Marek Weiß rieb sich die Augen. »Er war nicht o. k. Sie haben es Ihren Mann doch spüren lassen, dass er eine Affäre hatte und einen Sohn mit einer anderen Frau!«
Sag nichts, dachte Liliana. Er will dich aus der Reserve locken. Er kennt die Tricks. Aber du bist ihm ein paar Jahre an Lebenserfahrung voraus. Sag nichts.
»Warum haben Sie sich nicht von Ihrem Mann getrennt, als Sie von der Affäre erfuhren? Und von dem Kind?«
»Ich bin für zwei Monate zu einer Freundin gezogen«, sagte Liliana. »Aber ich vermisste ihn. Wir waren so lange verheiratet, sind durch dick und dünn gegangen. Ich wollte nicht ohne ihn leben.«
»Sie haben hingenommen, dass er eine andere hatte? Eine Frau, die ihn nach wie vor bei sich empfing?« Marek Weiß legte beide Hände auf den Tisch und betrachtete seine Finger. »Wir haben Astrid Nedopil gefragt. Ihr Mann hatte einen Schlüssel zu ihrem Haus. Bis zu seinem Tod. Er konnte kommen, wann immer es ihm passte. Haben Sie sich einmal gefragt, wie Astrid Nedopil, eine einfache Sekretärin, die wegen ihres Sohnes nur einen Halbtagsjob hat, ein Haus halten kann?«
»Weil Bert es ihr finanzierte«, antwortete Liliana. Das war leicht zuzugeben. Mit Geld hatte sie keine Probleme. Ihr hatte finanziell nie etwas gefehlt. Geld spielte überhaupt keine Rolle in ihrem Leben. Stets war genug da gewesen, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Aus den Augenwinkeln sah Liliana, wie Sandra Berlin, die bislang kein Wort zur Vernehmung beigetragen hatte, sich an den Heizkörper am Fenster lehnte. Konnte die Frau nichts sagen? Würde sie sie nicht eher verstehen? Sie kämpfte seit Monaten mit diesen Gefühlen. Sie hatte den einzigen Mann verloren, den sie je geliebt hatte. Und er hatte sie hintergangen. Auf so hinterhältige Weise. Über Jahre.
»Haben Sie Kinder?«, fragte Liliana und sah Marek Weiß an.
»Nein.«
»Wenn man gemeinsame Kinder hat, verbindet es einen.« Sie dachte nach. »Unser Johannes hat Bert und mich verbunden, und der kleine Marius Bert und … Frau Nedopil.« Es war schwer, den Namen auszusprechen, aber Liliana tat es. »Doch wenn ein Kind stirbt, so wie mein Sohn, dann wird das Band noch fester.«
»Oder es reißt«, schlug Marek Weiß in unverbindlichem Ton vor.
»Ich habe dem kleinen Marius nichts Böses gewünscht. Ich liebe Kinder. Ich hätte gern noch mehr Kinder gehabt. Aber es sollte nicht sein. Manchmal ist die Natur grausam.« Wie die Worte schmerzten! Sie schwieg. Über Fehlgeburten wollte sie mit dem Kommissar nicht sprechen. Vier Fehlgeburten. Wie sehr hatte sie sich ein weiteres Kind gewünscht. Eine Tochter. Als Johannes vier Jahre alt war, hatte er sie angebettelt, ihm ein Geschwisterchen zu schenken. Aber das Geschenk war ausgeblieben. Und jetzt hatte sie Neta. Ich will zu Neta!
»Sie konnten nicht ertragen, dass Astrid Nedopil ein Kind hatte und Sie nicht. Sie haben ein Motiv für den Mord an Marius. Und das Virus befindet sich auf Ihrem Computer.«
»Komm mal kurz mit raus, Marek«, sagte Sandra Berlin. Und an Liliana gewandt: »Wir sind gleich wieder bei Ihnen.«
Liliana sah den beiden nach.
»Bitte«, flüsterte sie, weil ihre Stimme nicht mehr wollte. »Ich möchte zu Neta.« Sie räusperte sich heftig, die Hand an der Kehle, und sagte: »Und meinen Anwalt anrufen.« Das würde das einzig Richtige sein. Gott sei Dank war ihr das Nächstliegende endlich in den Sinn gekommen.
Auf dem Gang hielt Sandra Marek am Ellenbogen fest. »Oliver Stark, der sich zwei Stunden vor der Tat in ›The Demon‹ herumgetrieben hat, besteht darauf, dort jemanden gesehen zu haben, der zu unserer
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