Wieweitdugehst - Wieweitdugehst
Cafeteria schob ich eine Frau mit Rollator beiseite und hechtete zur Theke.
»He, das ist doch typisch, mal wieder typisch!«, begann ein älterer Herr im Lodenjanker.
»Es geht um Leben und Tod!«, keuchte ich und griff mir den erstbesten Besteckkasten. Mit ohrenbetäubendem Gepolter stürzten die Messer auf den Boden. Die Kassiererin kam hinter der Theke hervor. Die Löffel krachten hinterher. Nichts würde mich aufhalten, auch nicht das Raunen der Umstehenden, man solle die Polizei rufen.
Die Gabeln! Von nun an würde ich ein besonders herzliches Verhältnis zu Gabeln haben. Denn was zwischen den blitzenden Essforken zum Vorschein kam, bestätigte meinen Verdacht. Ich bückte mich und packte mit spitzen Fingern das längliche, so silbern wie Besteck schimmernde Teil, das garantiert noch nie als Gabel gedient hatte.
»Ja, rufen Sie die Polizei!«, schrie ich ins Publikum, das nun mucksmäuschenstill um mich herum stand und wie die Vollpfosten starrte. »Fahndung nach einer als Ärztin verkleideten, dünnen, zierlichen Frau. Rufen Sie im LKA an. Sandra Berlin ist die ermittelnde Hauptkommissarin.«
Ich rannte los, den Insulin-Pen in der Faust. Diese raketenähnlichen Teile hatte ich einmal auf einer Recherchereise gesehen. Diabetiker konnten sich damit zielgenau Insulin spritzen. Japsend verließ ich das Treppenhaus und jagte über den Gang zu Netas Zimmer.
»Sie hat Insulin bekommen!«, brüllte ich. »Insulin!« Ich hielt den Pen hoch wie eine Trophäe.
»Glucose!«, parierte einer der beiden Ärzte. »Ist die Kartusche leer?«
»Leer!«
»Das heißt im Höchstfall 300 Milliliter 100er Insulin. Los. Vielleicht ist es noch nicht zu spät.«
»Die Atmung hat ausgesetzt«, sagte der andere. »Das Herz hat ausgesetzt.«
»Wiederbelebung! Weg vom Bett!«
Eine Maschine wurde hereingerollt. Ich zog Liliana beiseite. Jemand riss Netas Nachthemd auf. Ihr lebloser Körper sprang hoch und sackte auf das Bett zurück. Liliana stand da, wie versteinert, klammerte sich an meine Schulter und schaute mit irrem Blick auf Neta. Eine Krankenschwester beugte sich über sie und entleerte eine Kanüle in den Schlauch, der in Netas Vene führte.
»Sie schafft es!«, redete ich Liliana zu. »Jemand hat ihr Insulin gegeben. Sie hat einen schweren hypoglykämischen Schock. Aber sie ist ein starkes Mädchen. Ich bin sicher, sie schafft es.«
40
»Mir ist es jetzt nicht so recht«, hauchte Astrid Nedopil in ihr Handy. »Ich bin beim Einkaufen, meine Schwester kommt am Wochenende aus Irland zurück.«
Vor dem Haus in Laim stehend, trat Sandra unruhig von einem Fuß auf den anderen. Das hatte sie jetzt davon, dass sie sich bei Astrid Nedopil nicht angemeldet hatte.
»Wann sind Sie zurück?«
»Das wird dauern«, mauerte Astrid. »Elli war vier Monate weg. Ich habe eine lange Liste, was sie braucht.«
»Wo wohnt Ihre Schwester? Ich komme dorthin!«
»Bei mir in der Nachbarschaft. Aber ich bin, wie gesagt, noch unterwegs, und bei dem Verkehr …«
Sandra ließ sich die Adresse geben. »Ich warte dort auf Sie.« Sie steckte ihr Handy ein und ging zu Fuß zum Haus von Elli Nedopil. Es war nicht weit. Astrids Schwester wohnte im ersten Stock eines würfelförmigen, gesichtslosen grauen Hauses. Diesen Stil fand man nach Sandras Geschmack zu oft. Alle Häuser sahen gleich aus, waren in einer Zeit gebaut worden, als viele Menschen schnell ein Heim brauchten. Zweifelnd sah Sandra zum Himmel. Das Wetter konnte sich nicht entscheiden. Herbst. Tatsächlich war Herbst. Im Erdgeschoss wurde ein Fenster aufgestoßen.
»Wollen Sie zu Elli?« Ein Gesicht lugte heraus. Eine Frau um die 30, die ein Kleinkind auf dem Arm hatte.
»Ich bin mit ihrer Schwester hier verabredet!« Sie holte ihre Legitimation hervor. »Sandra Berlin, LKA.«
»Ach, die Astrid, ja. Die kam gestern hier vorbei und hat alles vorbereitet, frische Sachen in den Kühlschrank gestellt und so. Elli war vier Monate weg. Wollen Sie nicht reinkommen?«
Sandra ging zur Haustür.
»Schlimm, das mit Marius.« Die Frau setzte das Kind ab, das sich sofort krabbelnd an die Erkundung der Welt machte. »Ich habe Elli gesagt, ich könnte mich schon darum kümmern, dass sie was zu essen hat, wenn sie heimkommt. Aber die beiden Schwestern sind sehr eng miteinander.« Sie streckte die Hand aus. »Ich bin Ruth Melker. Mein Mann und ich vermieten an Elli schon seit drei Jahren. Sie ist ein netter Kerl. Ganz offenherzig. Ihre Schwester ist ja eher distanziert. Manchmal kommt sie mir
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