Wikinger meiner Traeume - Roman
immer noch.
»Seit wann glaubst du, den Menschen anzumerken, ob sie die Wahrheit sagen oder lügen?«, fragte er.
»An eine Zeit, wo es anders war, erinnere ich mich nicht mehr.«
»Hast du auf Wolscroft niemals versucht, dein eigenartiges Talent zu offenbaren?«
Schläfrig schüttelte Rycca den Kopf. »Für Wahrheit oder Lüge interessierte sich mein Vater nicht. Er verurteilte die Menschen, so wie es ihm gefiel – ganz egal, ob sie tatsächlich eines Vergehens schuldig waren. Genauso willkürlich ließ er Verbrecher laufen, wenn sie ihm Geld gaben oder andere Dienste erwiesen. Daran hätte ich mit dem Geständnis meiner Fähigkeiten nichts geändert. Stattdessen wäre ich wegen Hexerei verurteilt und ertränkt worden.«
Dragon verfluchte den brutalen Lord of Wolscroft und küsste Ryccas Stirn. Wie konnte man einer so schönen, bezaubernden Tochter die Hölle auf Erden bereiten? Das verstand er nicht. Und wenn ein Mann eine solche Ehefrau gewonnen hatte – musste er sie nicht beschützen und umsorgen? Dazu war er fest entschlossen. Trotzdem verflog sein Unbehagen nicht. Niemals würde er vergessen, dass sie sich gegen diese Ehe gesträubt hatte. Denn sie wollte frei sein. »Rycca?«
»Hm?«, murmelte sie im Halbschlaf.
»Schon gut.« Jetzt wollte er sie nicht länger stören, und er hoffte, auch er würde Ruhe finden.
Jenes verwirrende Rätsel würde er ein andermal lösen und herausfinden, ob sich ein gepeinigtes Kind eingeredet hatte, übernatürliche Kräfte zu besitzen – oder ob tatsächlich etwas dahinter steckte. Im Augenblick genügte es, dass Rycca in seinen Armen lag – wo sie hingehörte.
Und sie hatte sich auch in sein Herz geschlichen. Das war sein Problem, nicht wahr? Er liebte sie. Ausgerechnet er, Dragon Hakonson... Nachdem er so viele Frauen erobert hatte, liebte er diese rothaarige Kriegerin, die wie der Wind dahinstürmte und über Klippen stürzte, die seine Leidenschaft mit gleicher Glut erwiderte, die ihn verführte und verblüffte. Was er jetzt empfand, hätte er niemals für möglich gehalten.
Irgendwo brach Loki in boshaftes Gelächter aus.
15
»Mylady, Ihr solltet Euch etwas ansehen.«
Obwohl Magda mit ruhiger Stimme sprach, spürte Rycca die Sorge, die darin mitschwang. Sie hörte auf, Granis Mähne
zu striegeln, ignorierte das protestierende Wiehern und folgte der älteren Frau aus dem Stall. »Was gibt’s denn?«
Hastig spähte Magda nach allen Seiten, um sich zu vergewissern, dass sie nicht belauscht wurden. »Ein Problem in der Weberei...«
An diesem späten Nachmittag war der Festungshof fast verlassen. Die meisten Leute hatten ihr Tagewerk beendet und die nahen Teiche oder Flüsse aufgesucht, entspannten sich und badeten, ehe die Vorbereitungen für das Abendessen begannen.
Auch in der Weberei trafen Rycca und Magda niemanden an. Morgens hatten die Frauen ihre hohen Webstühle hinausgetragen, um an der frischen Luft zu arbeiten. Jetzt standen die Geräte wieder im Schuppen, mit Stoffen beladen, dem Ergebnis tagelanger Mühe.
Aber aus diesen Stoffen würde man keine Kleider nähen. Ungläubig schaute sich Rycca um. Alle Webstühle waren durchsägt, die Stoffe hingen in Fetzen herab. »Heiliger Himmel...«, flüsterte sie.
»Erst vor ein paar Minuten entdeckte ich die Verwüstung«, erklärte Magda grimmig. »Ich konnte mich nicht erinnern, ob die Frauen genug Wolle und Fäden für morgen haben. Deshalb wollte ich nachsehen.«
»Wer würde so etwas tun?«
»Keine Ahnung – so etwas ist noch nie geschehen. Die Frauen baden im Fluss. Erst vor einer Stunde brachten sie die Webstühle in die Werkstatt zurück.«
»Danach muss jemand hier gewesen sein.« Mit bebenden Fingern berührte Rycca einen Stoff, den der Übeltäter offensichtlich mit einer scharfen Klinge durchschnitten hatte – vermutlich in aller Eile. Jeden Augenblick hätte jemand hereinkommen können. Trotzdem erweckten die ruinierten Stoffe und die zertrümmerten Webstühle den Eindruck, diese Person wäre sehr gründlich vorgegangen – in zielstrebiger
Zerstörungswut. »Heute Morgen ist Master Trygyvs Schiff ausgelaufen, nicht wahr?«
Wie Magdas Miene verriet, gingen ihr ähnliche Gedanken durch den Sinn. »Ja, ich war bereits am Kai – es ankerte nicht mehr im Hafen.« Beunruhigt seufzte sie. »Wer das getan haben mag, kann ich mir nicht vorstellen. In Landsende leben nur friedfertige Menschen. Bei uns gibt es keine Vandalen.«
Daran zweifelte Rycca nicht. Solche Gewalttaten würde ihr Mann
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