Wikingerfeuer
war dieser Gedanke nicht zu erklären.
»Hüte deine Zunge, Engländer!«
»Meine Zunge ist gerade meine geringste Sorge. Rúna, ich werde dich nicht angreifen und auch nicht flüchten, wenn du mich jetzt losbindest. Wo sollte ich denn in meinem Zustand auch hin?«
»Dahin, wohin du wolltest, als du aus der Halle geflüchtet bist?«
»Da hatte ich noch die Hoffnung, dass es hier einen Mann Gottes gibt. An einem Ort, wo Kirchen zu Ställen werden, sieht es mit dieser Hoffnung aber recht trübselig aus.«
»Einer wie du gibt niemals auf. Andernfalls hättest du längst Yngvarrs Fragen nach deiner Herkunft beantwortet.«
»Ach, weißt du, Rúna Wirbelwind … Yngvarr war mir einfach zu unhöflich.«
Ob sie die Lider mit den langen hellen Wimpern senkte, weil er sie mit ihrem Spitznamen angesprochen hatte? Trotz des fahlen Zwielichtes meinte er ein Blitzen in ihren Augen zu sehen, diesmal aber ein ganz anderes. Und ein Lächeln, vielmehr die Andeutung eines Lächelns. Er hatte nicht geglaubt, dass diese Frau dazu imstande war. Vielleicht lag ja wirklich irgendein Zauber auf dieser Hütte.
Herr, vergib mir .
»Setz dich wieder hin«, befahl sie. Er gehorchte; seine Blase protestierte schmerzhaft. Nachdenklich blickte sie sich um und entfernte schließlich das Seidentuch von ihren Hüften. Sie drehte es zu einem Seil. »Und jetzt halt still.«
Sie beugte sich über ihn und berührte seinen Hals. Seine Nasenflügel blähten sich. Rúna duftete nach einer fruchtigen Essenz. Darunter nahm er Leder und einen feinen, angenehmen Schweißgeruch wahr, als habe sie sich bei einem Schwertkampf verausgabt. Er schwankte zwischen dem Wunsch, sie anzustarren, und dem, die Augen zu verschließen, um ihre Berührungen noch deutlicher wahrzunehmen. Aber da trat sie wieder zurück, und er begriff, was sie getan hatte.
Sie hatte ihn angeleint wie einen Hund. Das Seidentuch war irgendwo hinter ihm festgemacht.
Plötzlich hielt sie den Dolch in der Hand. Sie neigte sich auf eine Seite; er wollte zur anderen ausweichen, doch die Seide hielt ihn auf. Er konnte nicht verhindern, dass ihr Oberkörper ihn streifte. Ihre Nähe verwirrte ihn, doch da hatte sie mit einer raschen Bewegung hinter ihn gegriffen und die Lederschnur von seinen Handgelenken geschnitten. Sie trat einige Schritte zurück und verknotete sie.
»Jetzt nimm die Hände nach vorne. Und keine unbedachte Bewegung!«
Blitzschnell hatte sie die Klinge an seinen Hals gelegt. Sie glaubte sich überlegen. Er war sich sicher, ihr die Waffe ohne größere Mühe entwenden zu können. Aber vielleicht täuschte er sich, und sie konnte tatsächlich schneller aus der Reichweite seiner Hände springen, als er sie zu packen vermochte. Nun, er hatte ihr versprochen, friedlich zu sein, also kreuzte er die Hände vor dem Bauch.
Er war neugierig, wie sie das Problem lösen wollte, seine Handgelenke zu fesseln und ihn gleichzeitig mit dem Dolch zu bedrohen. Es entlockte ihm ein Lächeln, als sie die Klinge zwischen die Zähne nahm und ihn warnend anfunkelte wie eine Löwin.
Wenige Augenblicke später waren seine Hände wieder gefesselt, und die Klingenspitze drückte sanft gegen seine Wange.
»Hier gibt’s nichts zu lachen, mein Freund«, sagte sie ebenso sanft wie kalt. Sie löste das Seidentuch und trat zurück. »Jetzt darfst du aufstehen.« Sie nickte in Richtung des Aborts.
Rouwen ging in die Ecke. Ihre Dolchspitze drückte gegen sein Rückgrat. Erst als er hinter den Vorhang schlüpfte, trat sie zurück. Seine Finger, die er sich beim Kampf mit dem Steinriesen lädiert hatte, machten es nicht leicht, die Verschnürung seiner Hose zu lösen. Dann war es geschafft. Dass Rúna eindeutige Geräusche zu hören bekam, störte ihn nicht. Eine Frau, die unter derben Kriegern lebte, vernahm gewiss noch ganz andere Dinge.
»Was ist ein Tempelritter?«, fragte sie unvermittelt. Da er überrascht schwieg, hakte sie nach: »Und wer ist Salomon? Ist er ein Gott? Aber ihr habt doch nur einen Gott? Musstest du die Schätze seines Tempels bewachen?«
Rouwen überlegte einen Moment, sah aber keinen Nachteil darin, ihr zu antworten. »Der Orden der Armen Ritter Christi vom Tempel Salomons wurde ursprünglich gegründet, um Pilger zu beschützen, die nach Outremer wollten, ins Heilige Land. Der Weg ist gefährlich, man hat es mit Räubern und wildem Getier zu tun. Aber seitdem kämpfen Tempelritter immer dort, wo der Heilige Stuhl es will. Balduin der Zweite, damals König von Jerusalem,
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