Wikingerfeuer
überließ dem Orden Teile seines Palastes, von dem man sagt, er sei dort errichtet worden, wo der Tempel Salomons stand. Salomon war der Sohn Davids und Bathsebas, der dritte König von Israel.«
Und jener, der vielleicht das Hohelied der Liebe schrieb , ging es ihm durch den Kopf, während er seine Hose wieder zuband. Er konnte förmlich hören, wie Rúna nachdachte.
»Was ist ein Orden?«, wollte sie wissen.
»Eine Gemeinschaft.«
»Und warum nennt ihr euch ›arm‹? Die Schätze in deiner Truhe …«
»Nein, schöne Frau, du bekommst nicht aus mir heraus, für wen sie gedacht waren. Bevor ich euch verrate, wohin ihr Feuer und Schwert tragen könnt, lasse ich mir eher die Haut abziehen.«
»Genau das könnte passieren, wenn du weiterhin schweigst.«
»Man hat mich in meiner Ausbildung darauf vorbereitet, die Fragen der Sarazenen zu ertragen, sollte ich in Gefangenschaft geraten. Und zwar ganz gleich, welche Befragungsmethoden sie anwenden. Von nordischen Götzenanbetern, die es eigentlich gar nicht mehr geben dürfte, war zwar nicht die Rede, aber Heide ist Heide.«
»Ich sollte dir für deine Überheblichkeit den … die …«
»Was?« Mit beiden Händen warf er den Vorhang auf und trat vor sie. »Was willst du mir abschneiden? Meine Zunge?«
»Die auch!« Den Dolch vorgestreckt, wich sie zwei Schritte zurück. »Setz dich wieder hin! Du kannst sowieso kaum auf den Füßen stehen.«
Kaum hatte sie das gesagt, spürte er wieder den Schwindel und die Schwäche in den Knien, die ihn zu der Pritsche wanken und darauf niedersacken ließ. Die wenigen Schritte und das Reden hatten ihn angestrengt.
»Aber nun sag mir, Rúna Wirbelwind, warum es hier noch Wikinger gibt. In einem der Bücher daheim habe ich gelesen, dass sie nach der Schlacht von Hastings verschwunden seien, als Wilhelm von der Normandie England eroberte.«
»In einem der Bücher? Du besitzt mehrere?«
»Mein Vater besitzt welche.«
»Also doch! Deine Familie ist reich. Und du hast behauptet, du seist arm!«
»Weil mein Vater Bücher besitzt, denkst du, er wäre reich?«
Dieses Augenfunkeln … Wie konnte es sein, dass er es sogar mochte, wenn sie zornig war? Es stimmte einiges nicht mit ihm, ganz und gar nicht, und er ahnte durchaus, was sein Problem war.
»Bücher sind kostbar!«, schleuderte sie ihm entgegen.
Vielsagend blickte er zu des Seidmanns Truhe. »Die Hütte des Heilers sieht nicht aus, als würde er in Reichtümern schwelgen.«
»Das ist etwas anderes. Baldvin hat ihm diese Bücher geschenkt. Weil Stígr ein Mann ist, auf den die Götter schauen. Er selbst besitzt aber gar keins, und dabei ist er wirklich reich. Vielleicht nicht nach den Maßstäben englischer Earls, aber hier ist er es, du … armer Ritter .«
Sie spuckte ihm die letzten Worte entgegen. Heiliger Cuthbert, wie sollte er das erklären? Dass er ein Armutsgelübde abgelegt hatte, erwähnte er besser nicht. Gut, dass er nicht auch noch gesagt hatte, dass sein Vater eine ganze Bibliothek mit gewiss an die hundert Büchern besaß … Er legte sich der Länge nach hin, weil all das im Augenblick einfach zu anstrengend für ihn war. Sollte sie doch hinauslaufen, zu Baldvin stürmen und ihm sagen, die Geisel habe sich als Sohn des Königs entpuppt. Es war ihm in diesem Moment gleich …
»Du brauchst etwas zu essen«, hörte er sie sagen, während er die Augen schloss. »Und dann erzähle ich dir die Geschichte unseres Dorfes.«
II.
GEBUNDEN
6.
R úna sah zu, wie der Engländer gierig alles verschlang, was sie hatte bringen lassen: das Roggenbrot, den geräucherten Hai, die gekochten Möweneier und das warme, dampfende Bier. Danach streckte er sich wieder erschöpft auf der Pritsche aus.
»Du wolltest mir doch eure Geschichte erzählen«, sagte er matt.
Rúna schrak auf. Sie war schon wieder in den Anblick seines Gesichts versunken gewesen.
Rouwen sah sie auffordernd an, doch er kämpfte offensichtlich mit der Schwere seiner Lider.
Ja , dachte sie, mach die Augen zu, dann siehst du nicht, wie ich deine Lippen anstarre .
Bei Odin!
Am liebsten hätte sie ihm den Rücken zugekehrt – wäre das nicht viel zu gefährlich. Verärgert über sich selbst verschränkte sie die Arme und schlug ein Bein über das andere. »Also gut. Die Ahnen der Yoturer lebten wie viele Norweger und Dänen an der Küste Englands im Königreich Jórvík. Sie zogen mit Harald Harderade, dem damaligen König von Norwegen, in den Kampf, um für ihn den Thron Englands zu erobern. Sie
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