Wikingerfeuer
er nach oben blickte, um einem Seeadler zuzusehen, der über der Kolonie der Basstölpel kreiste. »Was sollen wir auch mit einer zweiten Geisel, die hier herumläuft und die Leute vom Arbeiten abhält, weil die Männer auf sie aufpassen müssen und die Frauen glotzen?«
Sie hatte das Gefühl, er verpasse ihr damit einen Seitenhieb, und rückte ein Stück von ihm ab.
»Ich habe dem Häuptling geraten, die Zunge des Mannes mit einem Brandeisen zu lockern. Erst unter den Achseln, und wenn das noch nicht hilft, unter den Sohlen …«
Gütige Freya!
»Was hast du? Du zitterst ja, als hätten wir noch Winter.« Er strich über die weiche Haut ihres unbedeckten Unterarms. Sofort verschränkte Rúna die Arme vor der Brust, doch er ließ sich nicht beirren und schob die Finger unter den aufgekrempelten Ärmel ihres Kleides, um sie zu streicheln. Er rückte näher, und da sie sich nicht bewegte, faltete er behutsam ihre Arme wieder auseinander. Sie zwang sich, ihm das Gesicht zuzuwenden.
Er hatte sie schließlich früher schon so berührt. Und sie hatte es gemocht.
Im Küssen war sie nicht sonderlich erfahren. Yngvarr hatte ihr hin und wieder einen Kuss gegeben, und sie hatte es, nun ja, erträglich und manches Mal sogar schön gefunden. Der Kuss, den er ihr jetzt aufdrückte, war weder das eine noch das andere. Wo blieb das Prickeln, wo das feurige Gefühl im Magen? Es war seit längerem abgeebbt, das hatte sie ja gewusst, aber dass so gar nichts mehr vorhanden war? Seine Hand schlüpfte in den Ausschnitt des Kleides und suchte ihre Brust. Auch das hatte er früher schon getan. Sie hatte es … interessant gefunden. Jetzt jedoch wollte sie, dass er die Finger bei sich ließ. Sie neigte sich zur Seite, um ihnen zu entkommen. Plötzlich lag sie rücklings auf der Mauer, und er war über ihr.
»Lass das«, sagte sie ruhig. »Die Mauersteine pieken im Rücken.«
»Wirbelwind, die merkst du gleich nicht mehr.«
»Aber ich mag jetzt nicht, geh von mir herunter!«
Er hörte nicht. Mit dem ganzen Gewicht lag er auf ihr. Fahrig liebkoste er ihren Hals, während er weiter an ihrem Ausschnitt herumnestelte.
Unfassbar! Früher hätte er ihren Widerstand respektiert und wäre zurückgewichen! Sie versuchte ihn fortzudrücken, aber er war zu stark. Rúna überlegte, mit dem Knie sein eindeutig geschwollenes Gemächt zu rammen, aber da sie befürchtete, dass sie beide dann von der mannshohen Mauer fielen, blieb ihre Gegenwehr halbherzig. Wirkliche Angst hatte sie nicht; auch wenn ihr immer unwohler wurde, als ihre Bemühungen, ihn wegzudrücken, erfolglos blieben.
Doch dann richtete sich Yngvarr etwas auf, genug, dass sie sich zur Seite rollen und an der Außenseite des Brochs hinunterfallen lassen konnte. Sie landete geschickt auf allen vieren. Noch bevor sie sich ganz aufgerichtet hatte, trottete Frigg heran. Sie schwang sich auf den Rücken ihres Pferdes und trieb es sofort an.
»Rúna, Rúna!«, schrie Yngvarr. »Was ist mit dir?«
Sie antwortete nicht, konzentrierte sich nur weiterhin darauf, möglichst schnell wegzukommen.
»Es ist wegen des Engländers!«, brüllte er hinter ihr her.
Vielleicht. Aber nicht nur ich habe mich seit Rouwens Ankunft verändert.
Yngvarr war seitdem anders geworden, noch härter und unbarmherziger!
Sie galoppierte über die Ebene dahin. Der Wind streifte Yngvarrs Berührungen ab, und sie konnte wieder aufatmen. Der Tag war zu schön, um sich die Laune verderben zu lassen. Sie sprengte eine Gänseschar, winkte den älteren Männern und Frauen zu, die auf den kleinen Ackerparzellen arbeiteten, und galoppierte ins Dorf.
Sie mochte Yotur, an solchen Frühjahrstagen liebte sie es sogar. Doch immer wieder packte sie die Sehnsucht nach einer anderen Welt, eine Welt, wo mächtige Heere gegeneinander kämpften, wo Frauen und Männer große Städte bevölkerten, wo hohe Burgen wuchsen und in den Häfen Dutzende große Schiffe lagen, wo Wissen und Nachrichten ausgetauscht wurden. Yotur bedeutete Sicherheit, Yotur bedeutete Freiheit, die alten Götter zu verehren. Ja, das alles wusste sie. Trotzdem … Seit der Engländer hier war, dachte sie immer öfter an das Abenteuer, Schottland und England und vielleicht sogar andere Länder zu sehen. Erst recht, da Arien nun ständig von der Heilkunde des Südens sprach.
Ihre Augen suchten und entdeckten Rouwen. Er stand vor der hochgelegenen Kirche, umringt von vier Wächtern – und Athelna und der Sklavin Morag, die sich oft in ihrer Nähe
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