Wikingerfeuer
Schandpfähle und einen Felsen, in den ein verrosteter Eisenring eingelassen war. Braune Flecken auf dem mit Flechten und Moos übersäten Stein ließen erahnen, dass hier irgendwann Blut geflossen war. Bei seinen Rundgängen – wegen der Fesseln dauerten sie ewig – hatte er auch einen Pfahl unten am Meeressaum entdeckt. Anhand der Salzkruste an den Klippen war zu erkennen gewesen, dass der Pfahl zur Flutzeit vollständig im Wasser verschwand.
Er ging auf die Knie und faltete die Hände, dazwischen die Schnur. Selbst wenn er verriet, wo sein reicher Vater lebte, so würde es ihm kaum helfen. Der Earl von Durham liebte seinen Sohn nicht, und Rouwen bezweifelte, dass sein Vater ihn auslösen würde. Seine Mutter würde jedoch darunter leiden, und um ihretwillen würde er schweigen. Keinesfalls würde er zulassen, dass diese Wikingerhorde in seinem Elternhaus einfiel.
Ich bin ein Templer. Ich kann alles ertragen .
Man vergaß es hier nur so leicht. Auf dem Schlachtfeld von Hattin war das anders gewesen – mitten unter seinen Ordensbrüdern, gekleidet und gerüstet wie ein Tempelritter. Aber hier war er ein Mann in einem zerschlissenen Kittel, dem man noch nicht einmal Schuhe zugestand.
Und der seinem Orden Schande bereitete, weil er drauf und dran war, sich in eine Frau zu verlieben.
Er hatte immer ein Ritter werden wollen, ja, aber kein Mönchsritter. Doch er hatte geglaubt, schon lange über diese Zweifel hinweg zu sein. Die Komturei war sein Zuhause geworden. Er hatte sein Mönchsleben, bevor er nach Outremer aufgebrochen war, gemocht. Die Frühmessen, die sonntäglichen Kapitelversammlungen, die Stundengebete und Vespergesänge … es war ein ruhiges, geordnetes Leben gewesen, das er in Outremer schmerzlich vermisst hatte. Was würde er darum geben, jetzt einer Predigt des Komturs zu lauschen oder sogar den Ermahnungen des Kaplans, mit den Handwerkern und ihren Frauen auf dem Gelände der Abtei zu scherzen, ja, selbst von einem seiner Brüder aus dem Schlaf gerissen zu werden, weil bei zwanzig Männern im Dormitorium immer irgendeiner zu laut schnarchte. Elric lachen zu hören …
»Pater noster …«
Schritte. Das Schloss rappelte. Die Tür flog auf und niemand anderer als Yngvarr stapfte in die Hütte. Haakon, Sverri und noch zwei weitere Kerle folgten ihm.
»Aufstehen und umdrehen«, befahl er.
Rouwen nahm sich die Zeit, die Schnur einzurollen und beiseite zu legen. Langsam erhob er sich und wandte ihnen den Rücken zu. Er wartete nicht, dass man seine Hände nach hinten zog, sondern kreuzte sie über dem Gesäß. Stolz. Stolz war alles, was ihm geblieben war.
Eine Lederschnur wurde um seine Gelenke geschlungen, so fest, dass sie sich in seine Haut grub. Als er einen auffordernden Griff an der Schulter spürte, drehte er sich um. Hinter Yngvarr und vor den anderen ging er aus der Hütte. Yngvarr stieß ein unwilliges Schnauben aus, als er bemerkte, dass Rouwen hinter ihm zurück blieb. Die Fußfessel erlaubte nur kleine Schritte. Aber er ging daraufhin langsamer.
Sie führten ihn in die Halle. Draußen war gerade erst die Dämmerung angebrochen, doch das Langhaus war bereits hell mit Talglichtern erleuchtet. Baldvin Baldvinsson saß auf seinem erhöhten Thronstuhl. An der Seite flackerte das Herdfeuer, doch kein Essensduft durchzog die Halle. Mehrere Krieger hatten sich um ihren Häuptling versammelt, aber nun unterbrachen sie ihre leisen Gespräche und wandten sich Rouwen zu.
Unter ihnen entdeckte er Rúna.
Sie ließ es sich also nicht nehmen, der peinlichen Befragung zuzuschauen. Er sollte Abscheu oder zumindest Ärger bei diesem Gedanken empfinden, doch ihr Anblick war einfach zu liebreizend. Sie trug wieder ihr Kettenhemd, das sich so verführerisch an ihre Rundungen schmiegte, und er fragte sich, ob sie sich dessen in aller Tragweite bewusst war. Ihre Arme zierten Schmuckreife, und der lange Zopf hing über eine Schulter nach vorne. Grimmige helle Augen musterten ihn von oben bis unten, als er näher kam.
Da war auch Stígr. Am gestrigen Abend war der Dorfzauberer zurückgekehrt; Rouwen hatte ihn gesehen, die Arme voller Kräuter, Blumen und kleiner erlegter Tiere, wie Wasserratten, Fledermäuse, Enten und sogar einen Basstölpel. Angesichts der Wachen um sein Haus war er zeternd im Langhaus verschwunden, vermutlich um sich bei Baldvin über den ungebetenen Gast zu beschweren.
Rouwen musste in angemessener Entfernung vor dem Thronstuhl stehen bleiben. Es kostete unendliche Kraft, Rúna
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