Wikingerfeuer
hielt, sodass es sich lohnen würde, sich dort näher umzusehen. Während sie dem Mönch unbemerkt folgte, erging sie sich in Fantasien, in denen sie Bruder Oxnac, der sich durch eine glückliche Fügung gerade im Kloster aufhielt, entführte und ins Lager brachte.
Dieser Tagtraum endete schnell, nämlich als sie an der Klosterpforte ankam und feststellte, dass das Brot in der Gasse davor verteilt wurde. Eine Mauer, so hoch wie zwei Männer, sorgte dafür, dass niemand ungebeten auf das Gelände kam. Dicht an dicht drängten sich die Leute an dreien solcher Karren und schleppten das Brot auf ihren Armen davon. Ehe sich Rúna versah, bekam sie ein Stück Brot in die Hand gedrückt. Wenigstens half es gegen den Hunger.
Da der Mönch sie von oben bis unten musterte, machte sie, dass sie weiterkam. Am Eck der Umfassungsmauer gelangte sie auf einen Platz. Hier erhob sich die Kirche, und hier …
Sie machte einen Satz in den Schatten der Mauer zurück. Vor Schreck hätte sie sich beinahe am Brot verschluckt und würgte den Klumpen schnell hinunter. Sie legte eine Hand auf ihr schnell klopfendes Herz, während ihre Augen über den Platz huschten.
Freya, Odin und alle Asen! Habt ihr mich getäuscht?
Nein.
Rouwen war wirklich hier.
Nachdenklich schob sie sich die letzten Bissen in den Mund. Hatte er sämtliche Schwüre in den Wind geschlagen und war geflohen? Das glaubte sie nicht. Also war er mit Erlaubnis ihres Vaters und mit Begleitung hier? Nein, keiner der Yoturer war zu sehen. Und er bewegte sich nicht wie jemand, der frei war. Er hielt den Kopf gesenkt und blickte aus den Augenwinkeln umher, ganz wie sie es tat, seit dem Zwischenfall in dem Wirtshaus.
Er musste sich davongestohlen haben.
Warum?
Er hielt auf die Kirche zu. Sie besaß drei spitzbogenförmige Eingänge, und vor allen hockten Bettler. Tische waren auf dem Vorplatz aufgebaut, an denen Handwerker Bildnisse in Sandstein schlugen. Helle Wolken aus Steinstaub umgaben sie. Niemand achtete auf den Mann, der eines der Seitenportale wählte, um in die Kirche zu schlüpfen.
Mit schnellen Schritten überquerte Rúna den Platz und erreichte das Seitenportal nur kurz nach Rouwen. Über und über war die Tür mit Bildwerken verziert. Einige der Szenen konnte sie sogar zuordnen: Eva und Adam und die Schlange des christlichen Paradieses. Das Schiff, das bei einer großen Flut die Tiere aufgenommen hatte. Und natürlich der Gekreuzigte. Sie wartete einige lange Atemzüge. Dann wagte sie es, den Türgriff hinunterzudrücken.
Rasch huschte sie ins Innere und schloss die Tür wieder. Kälte und Dunkelheit umfingen sie. Fast erwartete sie, dass eine Hand sich auf ihren Mund presste und Rouwen an ihr Ohr raunte, dass er sie erwischt hatte. Doch nichts geschah, und als sich ihre Augen an die Düsternis gewöhnt hatten, sah sie ihn zwischen den Pfeilern hindurchgehen. Langsam, gemessen. Er machte das Zeichen seines Glaubens und kniete sich hin.
Ein Mönch kam auf Rúna zu. Sie heftete den Blick auf ihre Stiefelspitzen und hielt den Atem an. Er würde merken, dass sie nicht hierhergehörte, er würde … Nein, er achtete gar nicht auf sie. Er umrundete sie einfach und ging hinaus. Der Lärm schwappte herein und verklang wieder, als sich die Tür erneut schloss.
Sie atmete auf und ermahnte sich, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten. Anstatt also durch die Schatten zu kriechen, ging sie leise und andächtig an der Wand entlang. Überall thronten Holzfiguren auf kleinen Vorsprüngen, und bunte Bilder waren auf den Verputz gemalt. Wäre Rouwen nicht hier, hätte sie sich das alles gerne näher angesehen. Vielleicht hätte sie sogar ein Stück Pergament gefunden. Oder sogar ein Buch … Aber Rouwen war hier, so unwirklich es ihr vorkam. Er hatte die Hände vor dem Gesicht gefaltet. Unter seinem Umhang zeichnete sich sein breiter, jetzt gebeugter Rücken ab. In diesem fahlen Zwielicht wirkte die gebräunte Haut seines Nackens wie ein heller Fleck.
Was würde geschehen, würde sie diesen Nacken jetzt mit ihrer Dolchspitze kitzeln? Kurz schloss sie die Augen, als sie sich vorstellte, ihn stattdessen zu liebkosen. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Körper aus und beendete das Frösteln, das einem in diesem kalten Gemäuer unwillkürlich überkam. Sie dachte zurück an den Abend bei den Schwitzhütten. Als sie im eiseskalten Wasser gestanden hatte. Als seine kräftigen Schenkel es zerteilt hatten, um auf sie zuzukommen. Rouwen, ich würde so gerne …
Ein
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