Wikingerfeuer
Menschen, bis sie sie entdeckte. Der Dicke hatte sich an einem Tisch niedergelassen und das Mädchen auf den Schoß gezogen. Sie verschlangen Brotscheiben, die sie in eine Schale voller soßentriefender Bratenstücke tunkten, und spülten die Kehlen mit Bier. An einem Ende des Raums prasselte ein riesiges Feuer, und auf einem glühenden Herd drehten zwei Jungen mehrere Spansäue. Zischend troff das Fett in die Glut. Allein der Anblick ließ Rúna in Schweiß ausbrechen, und sie wagte es, den Umhang vorne zu lockern.
»Spielt, spielt!«, schrie jemand.
Der Musikant hob eine Hand. Man musste sich erst stärken.
Rúna fand schließlich einen freien Platz in einer Ecke. Sie schob sich zwischen zwei Tischen hindurch und kam neben einem gut gekleideten Herrn zu sitzen. Sofort nahm er sie in Augenschein. Das gefiel ihr nicht, aber falls er sie belästigen wollte, würde sie ihm das schon austreiben. Er winkte eine der Mägde herbei und sagte, dass er vom Spanferkel haben wolle, dazu guten Wein. Als das Gewünschte gebracht und vor ihn hingestellt wurde, erkannte Rúna, dass die Teller gar keine waren; es waren flache, in Soße getränkte Brotlaibe. Sie passte genau auf, welche Münze er der Frau gab, und bestellte daraufhin das Gleiche. Als sie – nach einer Ewigkeit – ebenfalls einen Brotteller bekam, wusste sie nun, welche Münze sie zum Bezahlen benutzen musste. Hungrig fiel sie über das Bratenstück her. Es war zart und saftig, und auch das Brot schmeckte großartig.
Irgendwann fiel ihr auf, dass der Mann sie seltsam anstarrte. Störte er sich daran, dass sie wie ein Mann aß, nicht wie eine Dame? Finster erwiderte sie den Blick. »Kümmer dich um dein eigenes Brot«, zischte sie.
Er hatte die Frechheit, daraufhin zu lachen. »Das ist es ja.« Mit dem Messerchen, mit dem er seinen Braten in mundgerechte Häppchen zerteilt hatte, deutete er auf ihren Brotteller. »Niemand isst dieses Brot, nur das in den Schalen, siehst du das nicht?« Wieder machte er eine Geste mit dem Messer, die diesmal den ganzen Raum umfasste.
Rúna erschrak. »Was ist damit denn nicht in Ordnung? Es schmeckt doch sehr gut.«
»Es ist üblich, die Brotunterlage den Armen zu überlassen. Jeden Abend kommt einer vom Kloster und holt es ab, um es zu verteilen. Wo kommst du her, dass du das nicht weißt? Deinem Akzent nach jedenfalls von weiter weg.«
Gütige Freya! Wer konnte denn so etwas ahnen? »Dafür lasse ich ja die Hälfte des Bratens übrig«, sagte sie hochmütig und schob den Teller von sich. Wehmütig warf sie noch einen Blick auf das Fleisch, doch dann sah sie, wie sich der dicke Musikant erhob und kurz schüttelte, damit seine Glöckchen klingelten. Der Lärm erstarb, und er begann, an dem Instrument kurbelnd, durch den Raum zu spazieren. Alle machten ihm Platz. Mit tiefer Stimme sang er ein Trinklied. Dabei zog er Grimassen, die mit lautem Lachen beantwortet wurden.
Die Musikantin hüpfte auf bloßen Füßen hinterdrein. Wenn sie den Männern näher kam, gingen deren Finger so manches Mal auf Wanderschaft. Tanzend entzog sie sich den Zugriffen, und mit einem Holzreif, an dem größere Glöckchen klingelten, schlug sie auf allzu freche Hände.
Der Dicke sorgte dafür, dass die Menschen in der Mitte des Raums Platz für sie machten. Als er sein Lied beendete, holte die Frau ihr Instrument und legte es sich an die Schulter. Sie hob den bespannten Bogen und spielte eine feine, ruhige Melodie. Dann begann sie zu singen. Rúna ging es durch Mark und Bein. Wie auch allen anderen, denn schlagartig war es still. Die junge Frau sang von Rittern einer Tafelrunde, die nach Jerusalem aufbrachen, um den heiligen Gral zu suchen.
Rúna hatte keine Ahnung, worum es sich dabei handelte, doch die Beschreibung der Männer – schön, stark, tapfer, ehrenvoll – ließ sie unwillkürlich an Rouwen denken. Ihre Gedanken schweiften zu ihm, und die Musik drang bald wie aus weiter Ferne zu ihr. Als die Leute begeistert zu klatschen begannen, schreckte sie auf.
»Wunderbar.« Ihr Sitznachbar klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Tisch, während er mit der anderen Hand trank. »Findest du nicht auch?«
»Ja.« Rúna sah einen Jungen, der herumging und den Leuten seine Mütze unter die Nase hielt. Jeder warf eine Münze hinein. Auch der Mann neben ihr ließ sich nicht lumpen. Sie fasste unter ihren Umhang – und erstarrte. Die Geldkatze war fort.
Aber an ihrer anderen Seite hing noch der Dolch. Blitzschnell hatte sie ihn gezogen und drückte
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