Wikingerfeuer
hochzuholen.
Gestern hatte sie vergebens gefleht, und heute offensichtlich auch.
Er hockte sich ins faulige Stroh und lauschte dem Geraschel der Ratten und seinem eigenen grässlichen Schluchzen.
Und ob du kannst! Rouwen hörte die Stimme seines Vaters klar und deutlich im Kopf, sogar jetzt noch, da diese unselige Episode seines Lebens viele Jahre zurücklag. Er warf sich zurück auf das Fell, das von Rúnas erhitztem Leib noch warm war, drehte sich auf den Rücken und zerrte die Decke bis zum Kinn hoch. Wo war die Schnur mit den Knoten, der erbärmliche Ersatz eines Rosenkranzes? Seine Finger tasteten herum, fanden seinen Gürtel und daneben die Schnur. Er hob sie an die Lippen und begann zu beten.
Pater noster … Danke, Herr, dass du mich vor dem Äußersten bewahrt hast . Danke, Herr, dass …
Mit einem ärgerlichen Brummen warf er die Schnur beiseite. Hölle und Teufel und seine verfluchte Seele! Warum, Gott im Himmel, warum musste der Herr ihn so prüfen? War sein Leben nicht schon schwer genug? Waren die Schlacht in Hattin und die Jahre davor nicht Prüfung genug gewesen? Warum kam zu allem noch die Bürde, in ein Weib verliebt zu sein, in ein sündhaft schönes, ein stolzes und störrisches, eines, das niemals das seine werden würde, und das nicht nur, weil er ein Mönch war, sondern es in einer gänzlich anderen Welt lebte?
Rúna rührte an seiner Vergangenheit. Seit Jahren hatte er nicht mehr an damals gedacht, hatte den Grund verdrängt, warum er zu den Templern geschickt worden war. Hatte nicht mehr an seinen Bruder gedacht. Rúna zwang ihn, sich wieder zu erinnern. Hatte Gott ihm diese Frau deshalb geschickt?
Aber weshalb eine Eva, die ihn zur Sünde verführte? Um seine Standhaftigkeit zu prüfen? Aufstöhnend rieb er sich über das Gesicht. Darauf würde sich vielleicht nie eine Antwort finden. Es war so, und damit musste er jetzt zurechtkommen.
Es reute ihn, so grob gewesen zu sein. Sie hatte es verdient, ja! Dennoch, es schmerzte ihn, wenn er nur daran dachte. So konnte er sie nicht gehen lassen. Seine Vernunft sagte ihm, dass es besser war, wenn sie ihm deshalb zürnte – dann würde sie es zukünftig hoffentlich unterlassen, sich ihm noch einmal auf so gefährliche Art zu nähern. Aber das interessierte sein dummes Herz bedauerlicherweise überhaupt nicht.
Er würde zu ihr gehen, sie um Verzeihung bitten. Und darum, ihn sich aus dem Kopf zu schlagen.
Alles Ausreden , dachte er, während er sich erhob und seine Hose wieder in Ordnung brachte und schnürte. Du willst bei ihr sein .
Er spielte mit dem Feuer. Vielleicht fühlte sich deshalb alles an ihm so hitzig und benommen an. Doch als er die Zeltklappe zurückschlug, die kalte Nachtluft sein Gesicht traf und er die ersten tiefen Atemzüge nahm, klärte sich sein Kopf. Ja, er glaubte, zu ihr gehen und bei ihr sitzen zu können, ohne noch einmal über sie herfallen zu müssen. Hoffentlich erging es ihr ähnlich.
Aber wo war sie?
Er sah einen Schatten, der sich beim Näherkommen als Sverri entpuppte. Wenigstens der gutmütige Sverri, von dem er hoffen konnte, dass er sich Spott verkniff.
Sverri deutete in eine Richtung entlang des Wassersaums. »Da ist sie lang«, brummte er, schlug ihm auf den Rücken und stapfte weiter, um seine Runde zu drehen.
»Danke«, murmelte Rouwen.
Die Nacht war sternenklar. Eine sanfte Brise ließ Rúnas Haare wirbeln, und die Dünung des Hochwassers schwappte sacht bis fast an ihre Füße. Sie saß auf dem Findling am Wasser, der ihr schon vorhin als Zuflucht gedient hatte. Sie sagte sich, dass es besser wäre, sich schlafen zu legen, doch sie war hellwach. Wie sollte es auch anders sein? Sie hatte soeben die schlimmste Niederlage ihres Lebens eingesteckt. Der Mann, den sie liebte, hatte sie zurückgewiesen. Und ihr Inneres fühlte sich aufgerissen, ausgehöhlt, geschwächt und erniedrigt an.
Sie versuchte die Lage auf ganz vernünftige Art zu erfassen: Wie laut war sie eigentlich gewesen, und was mochten die anderen mitbekommen haben? Wegen Sverri oder Hallvardr machte sie sich keine Sorgen. Was aber, wenn es ihrem Vater zu Ohren kam? Er würde sie durchschütteln und sich gewiss fragen, ob eine so törichte Frau tatsächlich dereinst die Yoturer anführen konnte.
Und dann besäße sie gar nichts. Nicht Rouwens Liebe, nicht den Respekt ihres Vaters.
In Gedanken sah sie sich schon fortwandern, irgendwohin, wo niemand sie kannte. Schließlich hatte sie ja die Welt sehen wollen … Aber was sollte in der
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