Wikingerfeuer
sich, oder rann eine Träne seine Wange hinunter? Sie wartete, dass er sie wegwischte, doch das tat er nicht. Sein Blick schien am Horizont zu haften.
Als er weitersprach, klang seine Stimme gepresst. »Es war ein Unfall. Aelfred und ich tobten in der Bibliothek. Ich weiß noch, dass ich mich freute, weil er selten herumtollte. Wir rauften, wir stießen einen Stuhl um, dann einen Kerzenständer. Er war aus Eisen, fast mannshoch … Er fiel auf Aelfred. Ich hatte Mühe, das Ding von ihm herunterzuheben. Er lag ganz starr. Seine Stirn war blutig. Es geschah so schnell, dass ich es bis heute nicht recht begreife. Manchmal frage ich mich, ob ich es mir nicht einbilde, je einen kleinen Bruder gehabt zu haben.«
Er räusperte sich. Seine Stimme war rau; Rúna konnte förmlich spüren, welche Kraft es ihn kostete, gefasst zu klingen. Schließlich wagte sie es und legte eine Hand auf seine Schulter. Er zuckte kurz, hielt aber still.
»Danach geschah lange Zeit nichts«, fuhr er fort. »Ich ging nicht fort. Kälte legte sich auf unsere Burg. Es war, als wäre der Winter eingezogen. Nach einigen Monaten eröffnete mir mein Vater, was er sich für mich ausgedacht hatte. Zur Buße. Weil Gott es so wolle. Und um mein Leben zu schützen, von dem er dachte, dass es irgendwann auch ausgelöscht würde. Ich sollte in die Komturei von …« Er stockte, besann sich offenbar im letzten Augenblick darauf, seinen Heimatort nicht preiszugeben. Sein Misstrauen versetzte ihr einen Stich, auch wenn sie sich sagte, dass es nur vernünftig von ihm war.
»Was ist eine Komturei?«
»Eine Niederlassung des Templerordens. Ein Kloster. Ich war entsetzt; ich hatte mir so etwas niemals für mich vorstellen können. Dass ich dort die Kampfkunst besser als anderswo erlernen konnte, tröstete mich nicht über die Tatsache hinweg, ein so streng geregeltes Leben führen zu müssen. Ständig beten, in Gemeinschaftsräumen schlafen, nichts besitzen dürfen, für alles und jedes Rechenschaft ablegen müssen! Der Kirche und dem Papst unterstehen! Das alles fand ich furchtbar, und dabei dachte ich in diesem Alter noch nicht einmal an das Einschneidendste: niemals eine Frau haben zu dürfen.«
Er rieb sich über das Gesicht. Dann legte er flüchtig eine Hand auf ihre und zog sie wieder zurück. Seltsam, wie anders ihr Beisammensein jetzt war … So, stellte sie sich vor, müsse es zwischen einer Frau und einem Mann sein, die bereits lange Jahre zusammen waren.
Ich will das auch , dachte sie inbrünstig. Mit ihm und keinem anderen .
Sie schüttelte den Kopf. Es war nicht möglich.
»Was hast du dann getan?«, fragte sie.
»Mich geweigert. Aber was nützt das einem Zehnjährigen? Vater schlug mich und ließ mich kurzerhand ins Verlies hinab. Zwei Tage und zwei Nächte musste ich dort zubringen. Danach war mein Wille gebrochen. Ich ging zunächst wie vereinbart in die Lehre. Nach der Schwertleite schenkte mir mein Vater die Ausrüstung und drei Pferde. Als Ritter trat ich in den Templerorden ein. Als ich nach der Probezeit das Gelübde ablegen sollte, habe ich kurz erwogen, einfach fortzureiten. Ich hätte als Edelknecht mein Auskommen finden können. Aber die Schuld meinem Bruder und meiner Familie gegenüber wog schwer. Das ist nun etwa fünf Jahre her. Ich gewöhnte mich ans Ordensleben und das anstrengende Leben eines Mönchsritters. Ich glaubte mich damit versöhnt. Bis ich dich traf, Rúna.«
Sie dachte an seine unerträgliche Sturheit. Als Junge hatte er sich standhaft geweigert, die seinem Bruder zugedachte Rolle zu übernehmen. Bis sein Vater ihn gebrochen hatte. Nun weigerte er sich ebenso standhaft, seine Schwüre als Mönch zu brechen. Nun, das Weigern eines Kindes war eines – die Entschlossenheit eines gestandenen Mannes etwas ganz anderes.
»Irgendwie erging es mir ganz ähnlich«, murmelte sie schließlich.
»Tatsächlich? Wie meinst du das?«
»Naja«, sie knabberte nachdenklich an ihrer Lippe. »Arien ist auch nicht der erhoffte stattliche Sohn geworden. Ich muss an seiner statt die Last eines Kriegers und Häuptlingsnachfolgers tragen, was ich für meine Bestimmung hielt. Bis ich dich traf.«
Sie schwiegen einvernehmlich.
»Was machen wir denn jetzt?«, fragte sie.
Er schüttelte stumm den Kopf und legte den Arm um sie. Sie bettete den Kopf an seiner Schulter. Ja, das tat gut. Jetzt durfte sie nur nicht den Fehler machen, über die Zukunft nachzugrübeln. Das konnte sie morgen noch tun.
14.
R úna hatte bei Rouwen gesessen,
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