Wikingerfeuer
bis sich der Himmel zu röten begann. Schweigend. Und schweigend hatte sie sich von ihm verabschiedet. Wenigstens eine Stunde wollte sie noch in ihrem Zelt schlafen.
Als sie sich dem Lager näherte, kam eine Gestalt, schnell wie ein Pfeil, aus der Düsternis auf sie zu und griff nach ihr. Yngvarr. Hatte er ebenfalls die ganze Nacht kein Auge zugetan?
»Rúna«, zischte er. Sein Atem roch nach Bier, als habe er seinen Ärger ertränken müssen. »Was tust du hier?«
»Zu meinem Zelt gehen, das siehst du doch.«
Er schüttelte ihren Arm. Schmerzhaft bohrten sich seine Finger in ihr Fleisch, doch sie wagte es nicht, ihn abzuschütteln, aus Furcht, er sähe, dass sie unter dem Umhang nackt war. »Du weißt ganz genau, was ich meine! Du warst bei ihm im Zelt! Und dann hast du ewig irgendwo da draußen mit ihm gesessen. Ich hätte mit dem Schwert dazwischengehen sollen! Damit du begreifst, zu wem du gehörst. Zu mir!«
»Das traue ich dir zu.«
»Eben. Weil ich ein Krieger bin, ein Mann, wie er sein soll.«
Das ist Rouwen dreimal mehr – das eine wie das andere , dachte sie.
»Ich bin ein Mann unseres Volkes«, redete Yngvarr weiter auf sie ein. »Ein Nordmann, ein Wikinger. Und was ist er? Ein Feind. Und du vertraust ihm! Du musst wahnsinnig sein.«
»Er ist ein Ehrenmann, Yngvarr. Es mag ja sein, dass du ihn nicht magst, und das verstehe ich. Aber er wird uns nicht in den Rücken fallen.«
»Vielleicht nicht, vielleicht doch! Ich rechne mit allem. Du aber bist eine Frau, die nicht mehr klar sehen kann …«
Sie riss sich los und ging ohne ein Wort davon.
»Rúna!«, brüllte er hinter ihr her.
Dieser Schreihals! Musste er das ganze Lager aufwecken? Noch lagen die Männer im Schlaf, bis auf jene, die Wache hielten. Wenigstens verfolgte er sie nicht. Sie erreichte ihr Zelt, nickte Hallvardr zu, der Sverri abgelöst hatte, und hob die Zeltklappe. Da sah sie, wie sich die ihres Vaters öffnete. Baldvin trat aus seinem Zelt und marschierte auf sie zu, als habe er nur darauf gelauert, dass sie endlich zurückkäme. Noch ein Tadel; sie ahnte es. Über Yngvarrs Einmischung war sie zornig, doch vor dem Vater konnte sie nur den Blick zu Boden heften. Da er kleiner als sie war, musste sie den Kopf dazu tief senken. Sie kam sich vor wie ein dummes Gör.
»Rúna, Tochter, mein Wirbelwind.« Er legte eine Hand auf ihre Schulter und dann an ihre Wange. Sofort schossen ihr ungewohnte Tränen in die Augen, obwohl sie nicht so recht wusste, weshalb. »Ich halte große Stücke auf dich, das weißt du. Auch dann noch, wenn du etwas, nun, Unbedachtes tust. Trotzdem mache ich mir Sorgen.«
Sie wollte einwenden, dass er das nicht musste. Aber wäre das nicht gelogen? An seiner statt würde sie sich ebenso sorgen.
»Ich vertraue dem Engländer, doch nur, weil ich ihn zur Treue gezwungen habe. Du aber tätest es wohl auch so, fürchte ich. Und das ist dumm. Das ist dir hoffentlich klar, oder?«
Sie schluckte und nickte. Inzwischen schmerzten ihre Finger von der Mühe, den Umhang vorne zusammenzuhalten.
Ihr Götter, wie viel hatte er von dieser Nacht mitbekommen? Hatte Yngvarr ihm irgendetwas gesagt? Sie wagte nicht zu fragen. Ein Wunder, dass sie ungestört bei Rouwen hatte sitzen können! Zweifellos waren Yngvarr und Baldvin stundenlang Kreise gelaufen, hatten überlegt, ob sie dazwischenplatzen sollten, und sich dabei wie Jagdhunde an unsichtbaren Ketten gefühlt.
Noch einmal klopfte er ihr auf die Schulter, dann wandte er sich mit einem entsagungsvollen Vaterblick ab. »Schlaf noch ein wenig. Nachher bringen wir Odin ein großes Opfer dar.«
Er kehrte in sein Zelt zurück und verschloss die Klappe. Rúna musste tief Atem holen; sie hatte ihn, so schien es ihr, die ganze Zeit angehalten. Die Müdigkeit war verflogen. Wenn sie jetzt in ihr Zelt ging, würde Arien womöglich mit seiner altklugen Art ins gleiche Horn stoßen. Das fehlte ihr noch!
Sie beschloss, ganz auf Schlaf zu verzichten und stattdessen einen der Männer von seinem Wachposten abzulösen. Rasch schob sie sich ins Zelt, erleichtert, dass Arien noch schlief, raffte mit einem Griff ihr Kleiderbündel, die Stiefel und Falkenkralle und kleidete sich im Schatten des Zeltes an.
Pater Alewold schlotterte noch immer unter seinen Decken. Der arme Kerl ließ sie an einen Welpen denken, der unsinnigerweise im Freien angekettet war. Sie holte eine Tonflasche Met und rüttelte ihn an der Schulter. Leise aufkeuchend ruckte er hoch.
»Sind alle Mönche so
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