Wikingerfeuer
starrte ihn an. Wollte ihn fragen: Bruder Oxnac? Doch es war nicht nötig – sie kannte die Antwort.
Er war es.
Er sah sie an, als sei sie ein Käfer, der es gewagt hatte, auf seinen Schuh zu fliegen. Mit einer ärgerlichen Handbewegung hieß er sie, beiseite zu treten, und stapfte die Treppe hinauf.
Rúna stieß den angehaltenen Atem aus. Ein Geschenk der Götter! Ihre Füße machten keinen Laut, als sie ihm in angemessenem Abstand folgte. Er ging geduckt und wirkte gehetzt, sah sich jedoch nicht um.
Rúna fühlte sich ganz benommen. Was wagte sie hier? Und wie sollte es ihr gelingen? Dieser Mann war anders als der junge verhuschte Alewold. Oxnac strahlte einen harten Willen aus. Auf seinem kahl geschorenen Hinterkopf leuchtete ebenfalls eine Narbe. Diese konnte nicht von der Mutter stammen. Eher vom Hieb eines Ziemers. Der Haarkranz war verfilzt, und der ganze Mann zog eine Wolke üblen Geruchs hinter sich her. Als wüsste er, dass seine Seele verloren war, und er sähe keinen Sinn mehr darin, sich noch um den Körper zu kümmern.
War er bereits so gewesen, als er die Mutter ermordet hatte? Seit Jahren hatte Rúna nicht mehr um Ingvildr geweint; sie hatte es sich verboten. Jetzt spürte sie die Tränen in sich aufsteigen. Unbändiger Zorn brandete ihre Kehle hinauf, sodass sie an sich halten musste, dem Mann nicht laut schreiend in den Rücken zu springen. Sie musste stehen bleiben, musste Atem schöpfen und sich zur Ruhe zwingen.
Das war ein Fehler. Sie ahnte es, als er außer Sicht geriet und sie eine Tür leise klappen hörte. Hastig nahm sie zwei Stufen auf einmal und gelangte auf einen Treppenabsatz. Hier gab es zwei Türen – welche war die richtige?
Dieses verdammte Zögern machte es nicht besser! Das Tageslicht wurde zusehends trüber, und sobald es dämmerte, musste sie aus der Burg heraus sein. Wenn Bauern und Händler die Burg verlassen hatten, würde ihre Anwesenheit hier sehr bald auffallen. Ebenso wie ihre Abwesenheit im Lager.
Sie zog die erste Tür auf.
Das Erste, was sie sah, waren zwei kräftige Hände auf nackten Brüsten. Auf einer von vielen Truhen hockte ein Mann mit heruntergelassener Hose, und auf ihm, den Hintern ihm zugewandt, ritt eine nackte Frau. Ihr Kopf lag auf seiner Schulter, und ihr Gesicht war vor Wonne verzerrt. Dem Gewand nach zu urteilen, das gebauscht am Boden lag, war sie keine Bauersfrau, auch keine Magd, sondern eine hohe Dame. Der Mann hingegen schien zu den Wachleuten zu gehören. Rúna dankte schon den Göttern, dass die beiden miteinander beschäftigt waren und sie nicht bemerkten, und wollte leise die Tür schließen. Da fiel der Blick der Frau auf Rúna. Ihre vor Lust verengten Augen weiteten sich.
»Fergus!« Sie entwand sich ihm und sprang auf. »Ich dachte, du hast den Riegel vorgeschoben?«
Das hatte Fergus in seiner Gier wohl vergessen. Rúna legte einen Finger auf die Lippen und sah sie verschwörerisch an, um ihr klarzumachen, dass sie sich nicht im Geringsten für dieses Techtelmechtel interessierte. Vergeblich. In Windeseile war die Frau bei ihren Kleidern und zerrte sie an sich hoch.
»Was willst du noch, warum verschwindest du nicht?«, zischte sie. Plötzlich kreischte sie laut: »Du bist ja eine Hure!«
» Was bin ich?«
Die dunkelbraunen Locken der Frau erbebten wie in einem Sturm, als sie ihre prächtige Mähne zurückwarf. »Nur eine Hure würde mit so anstößigem Schmuck herumlaufen.«
Verwirrt sah Rúna an sich hinunter. Sie hatte die Kristallkette und den Thorshammer doch abgelegt? Aber nicht die Zehenringe – die hatte sie ganz vergessen!
»Verschwinde endlich!«, kreischte die Frau.
»Was ist denn hier los?«, hörte Rúna hinter sich eine düstere, raue Stimme. Sie fuhr herum. Niemand anderer als der Mönch Oxnac stand hinter ihr. Er besaß blaue Augen, die das Gesicht jedes anderen Mannes anziehend gemacht hätten. Seines aber wirkte dadurch nur mehr kälter.
»Eine Hure hat sich in die Wäschekammer geschlichen«, behauptete die Dame. Rúna sah über die Schulter. Geschickt hatte sie sich wieder geordnet, und von dem Kerl war nichts mehr zu sehen. Wahrscheinlich hockte er hinter einer der Wäschetruhen.
»Was willst du hier?«, fragte der Mönch.
Rúna erkannte, dass sie sich verrannt hatte. Jetzt gab es nichts mehr zu überlegen. Ihr blieb nur noch, zu handeln. Die Götter mochten ihr beistehen – sie war bereit, ihn hier und jetzt zu töten, falls es nicht anders möglich war. Selbst auf die Gefahr hin, das eigene
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