Wikingerfeuer
riss er mit der Linken das Langmesser aus dem Gürtel und stieß es Angus ins lachende Gesicht.
Angus staunte mehr, als dass er entsetzt zu sein schien. Er packte das Messer und zog es aus seinem Mund. Dann fiel er rücklings nieder. Rouwen warf sich neben ihm auf die Knie. Blut sprudelte aus dem Mund des Schotten. Augenblicklich wurde sein pockennarbiges Gesicht weiß; seine drei Zähne waren nur noch helle rote Stümpfe. Ein grässlicher Anblick.
»Ich bin kein Priester, Herr Angus.« Rouwen legte eine Hand um den strähnigen Hinterkopf und hob ihn leicht an. »Aber zur Not werde ich Euch die Beichte abnehmen …«
»Brauche ich … nicht … danke.« Mit jedem kaum verständlichen Wort quoll ein Blutschwall hervor. Angus röchelte und sagte etwas, das wie ›Das hätte längst geschehen müssen‹ klang. Doch seine Hand tastete nach einer, die die seine hielt. Rouwen ergriff sie und drückte sie fest. Es dauerte nicht lange, bis der Blick des Edelknechts brach. Er war tot.
Rouwen legte Angus’ Kopf nieder und stemmte sich hoch. Schwer wog dieser unnötige Tod auf seinen Schultern. So viele hatte er sterben sehen, damals auf dem Schlachtfeld … So vielen hatte er die Hand gehalten, so vielen ein letztes tröstendes Wort zugeflüstert. Schwer atmete er aus.
Er wandte sich den wartenden Wikingern zu.
»Der Verräter hat genau diesen Tod verdient«, schnaubte Yngvarr, der sein Schwert inzwischen wieder weggesteckt hatte. Die Messerklinge säuberte er gerade an einer Grasnarbe. »Du ebenso, dafür, dass du dich mir in den Weg gestellt hast. Denk nicht, ich vergesse das.«
Rouwen malte sich aus, diesen Mann zum Kampf zu fordern und den Tod dieses unbewaffneten Mannes, und sei er auch ein Verräter, zu rächen, aber er drängte diesen nutzlosen Gedanken beiseite. Rúnas Schicksal war viel wichtiger.
»Wir müssen uns stellen. Etwas anderes können wir nicht tun.«
Yngvarrs graue Augen blitzten. »Gorun hat sich Burg Daenston von außen angesehen, während du weg warst. Sie liegt eingebettet zwischen zwei Felsen, die an den äußeren Seiten sanft ansteigen. Wir können uns in der Nacht hinaufschleichen und dann über den Burggraben Seile auf die Zinnen des Wohnturms werfen.«
»Ich kenne Burgen besser als ihr. So einfach wird man es uns nicht machen, und wir wären sicher nicht die ersten, die bei diesem Versuch draufgehen. Wir sollten zum Burgherrn gehen und mit ihm reden.«
»Das werde ich nicht tun. Eher brandschatze ich in der Umgebung, raube jede Kostbarkeit, die ich finden kann, und kaufe damit ein Heer, um die Burg zu überrennen.«
»Das wird lange dauern«, wandte Rouwen ein. »Zu lange für Rúna.«
»Solange Athelna lebt«, schrie Yngvarr, »wird auch Rúna leben!«
»Aber solange ich lebe, werde ich nicht tatenlos zusehen, wie du deine großspurigen Pläne wahrmachst und Rúna in Gefahr bringst.«
»Was geht dich das Ganze überhaupt an?«
»Wir gehen«, sagte Baldvin. Überrascht, dass der still in sich versunkene Mann doch noch etwas sagte, schwiegen alle. Die Männer schielten zu Yngvarr.
»Also gut, gehen wir.« Yngvarr gab sich großmütig, als sei Baldvin sein Untergebener. Vielleicht gab er nur deshalb nach, weil er dachte, seinen Herrschaftsanspruch so besser untermauern zu können. Ließ er die Situation jetzt eskalieren, bestand immer noch die Möglichkeit, dass sich die Männer auf Baldvins Seite schlugen. Der Blick, den er zu seinem Häuptling hinunterwarf, war jedoch voller Verachtung.
Rouwen beobachtete die Szene mit Unbehagen. Wie weit würde Yngvarr gehen, um den Häuptling zu verdrängen? Wie viel war ihm Baldvins Leben noch wert? Und Rúnas?
Ein scharrendes Geräusch schreckte sie auf. Ein Schlüssel wurde ins Türschloss gesteckt und gedreht. Rúna sprang von der knarrenden Bettstatt auf. Bis auf das Bett, das wohl einmal einer Edeldame gehört hatte, jetzt aber morsch und wacklig war, gab es in ihrem Gefängnis nur noch eine verschlossene Truhe und reichlich Spinnweben und Mäusenester. Und ein Fußbänkchen unterhalb des schmalen Fensters, jedoch ohne dazugehörige Sitzbank. Für ein Verlies war es recht erträglich. Rouwen hatte von Angstlöchern erzählt, die aus gutem Grund so hießen. Von düsteren, nassen Gewölben und Ratten. Vielleicht wollte man das einer Frau nicht zumuten und hatte sie deshalb in einem der Turmzimmer untergebracht. Allerdings war man bisher nicht zimperlich mit ihr umgegangen. Ihr Kopf schmerzte noch immer von dem Stoß, der sie gegen die
Weitere Kostenlose Bücher