Wikingerfeuer
hin. »Nein. Du bist doch eine große Kriegerin.«
Das sagte er mit völligem Ernst, was sie freute. Sie legte sich das Bündel auf den linken Arm. Arien hatte frische, gerötete Wangen, stellte sie fest. Überhaupt wirkte er gesünder als sonst. Ihr nachzulaufen, war gewiss anstrengend gewesen. »Du hast zugesehen, wie ich mich umgezogen habe?«, fragte sie lauernd.
Er zuckte mit den Achseln. »Ja. Aber es interessiert mich nicht, wie du nackt ausschaust. Du bist ja meine Schwester. Die andere hatte übrigens lauter Leberflecke auf dem Hintern. Und ihre Schamhaare hingen ihr fast bis zu den Knien.«
Rúna lachte. »Mit deinen Beobachtungen kannst du ja später, wenn alles vorüber ist, vor den anderen Männern am Lagerfeuer prahlen. Aber jetzt geh wieder. Und wehe, du verrätst Vater oder irgendeinem anderen, was ich hier tue!«
»Ich schwöre bei Odin, dass ich den Mund erst aufmache, wenn du es erlaubst. Aber es wäre doch besser, wenn ich mit dir käme …«
»Deine Abenteuerlust ist manchmal beängstigend.«
»Wirklich! Ist dir denn nicht aufgefallen, dass die wenigsten Frauen allein herumlaufen, und wenn sie es tun, belästigt werden? Wie die da am Tor eben? Du fällst viel weniger auf, wenn du deinen Bruder bei dir hast.« Zur Bekräftigung straffte er sich. Er hätte wohl gern ›deinen großen Bruder‹ gesagt, aber noch war er einen Kopf kleiner als Rúna.
Zugegeben, sie hatte keine Lust, begafft und befingert zu werden. Trotzdem! »Vater würde mich einen Kopf kürzer machen, wüsste er, was ich vorhabe. Und um zwei, wenn er sähe, dass du auch hier bist! Nein, du bleibst hier draußen.«
Besser noch, er liefe zurück, aber das würde er sowieso nicht tun, also verlangte sie es nicht noch einmal. Sie bedachte ihn mit einem letzten strengen Blick und wandte sich der Burg zu. Die Zugbrücke war schnell erreicht. Sie war breit und kurz und so dick, dass sie sich fragte, wie viele Männer zum Heben nötig waren. Und ob die Brücke überhaupt je gehoben wurde, denn dem in den Ritzen sprießenden Unkraut nach zu urteilen, war das nicht der Fall. Die Torflügel wirkten ebenfalls wuchtig.
Und die beiden Wächter nicht minder. Zwar trugen sie nur dick gefütterte Wämser, doch an der Wand hinter ihnen hingen Topfhelme mit einigen Kerben und Beulen darin, und an ihren Waffengürteln Kampfmesser und sogar Morgensterne.
Den Kerlen wollten die Augen aus dem Kopf fallen, als sie näher trat. Lag es an dem viel zu tiefen Ausschnitt? An den offenen Haaren, da sie das Kopftuch vergessen hatte? Sie zwang sich, nicht an die Tasche zu fassen, um zu prüfen, ob der Dolch sie verräterisch ausbeulte. Den Blick gesenkt, verlangsamte sie ihren Schritt, ohne stehenzubleiben, wie sie es bei den anderen Leuten gesehen hatte. Entweder es ging gut, oder …
»Augenblick.«
Könnte Thor jetzt nicht kräftig donnern, um den Mann abzulenken? Er berührte halbwegs sanft ihre Schulter, damit sie nicht weiterging.
»Wer bist denn du?« Er klang behutsam, doch sein Blick sprach eine andere Sprache; er schien zu überlegen, wie sie wohl unter dem Kleid aussah. Sein Kumpan zog sie nicht weniger gierig mit den Augen aus.
»Ich heiße Morag«, erwiderte sie, unschlüssig, ob sie bestimmt auftreten oder schüchtern tun sollte. Sie hob den Arm, um ihm klarzumachen, dass sie wegen des Strohs kam.
»Wegen dieser armseligen Garbe hast du dich auf den Weg gemacht?«
»Ich hatte mehr, aber ich habe es verloren.«
Er lachte. »Die Bauern klauen sich gegenseitig das Stroh.« Er neigte sich zu einer Seite, dann zur anderen, als könne er ihr so unter den Rock schauen. »Dein Kleid sieht ebenso armselig wie die Garbe aus. Ich gebe dir einen Silberpenny, wenn du mit in die Wachkammer kommst. Beim nächsten Glockenschlag habe ich nämlich frei. Na, was sagst du dazu?«
Ihr lag die Frage auf der Zunge, wofür sie die Münze erhalten solle. Rechtzeitig dämmerte es ihr. Sie musste an sich halten, ihm nicht um die Ohren zu hauen, dass sie ihn für einen Dreckskerl hielt. »Ich will nicht«, antwortete sie, und ihre Stimme zitterte vor unterdrückter Wut.
»Das Mädel hat Angst vor dir.«
Was? Was? Er dachte, sie hätte Angst? Deutete er ihr Zittern so falsch? Wahrscheinlich konnten sich diese Männer nicht vorstellen, dass eine junge Frau anders als ängstlich oder freudig auf ihre Angebote reagieren konnte.
»Guck nur, wie sie die hellblauen Augen aufreißt. Sind diese vollen Lippen nicht herrlich? Und dazu die Sommersprossen … Ich mag
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