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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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nickte, erleichtert, und ging, und ich wandte mich um und stolperte durch den nassen Wald nach Hause.
    Jeska kam hinter den Bäumen hervor und trottete neben mir her. »Ich bin so wütend«, schnaufte sie. »Wie kann er es wagen, hinter deinem Rücken mit einer anderen rumzumachen? Und dann ausgerechnet Lumina. Sie ist so alt!«
    »Sie ist fünfundzwanzig«, sagte ich. »Und er ist achtzehn. Sie sind alt genug, um zu wissen, was sie tun.«
    Sie sah mich schräg an. »Bist du wirklich so ruhig, oder holst du dir ein Messer, um ihm irgendwelche Körperteile abzuschneiden? Ich hätte das hier anzubieten.« Sie hielt das kleine, scharfe Wurzelmesser in die Höhe. Und das von Jeska, die Orion wie ein heiliges Wesen verehrte!
    Da musste ich lachen, und ich hoffte nur, dass sie in meinem Lachen den Schmerz nicht hörte. Diesen Schmerz, der mich so unerwartet getroffen hatte, als hätte die Kugel mich dieses Mal erwischt. Ein Schlag in den Rücken, von dem sich die Wärme ausbreitete, dunkel und schwer.
    Schon zitterten mir die Knie, und gleich würde ich fallen und nie mehr aufstehen …
    »So ist es nicht«, sagte ich, denn auf einmal war die Wahrheit das Einzige, was mich retten konnte, was mein Herz vor dem Verbluten bewahren konnte. »Orion und ich waren nie ein Paar. Das haben wir nur gesagt, damit Paulus uns nicht trennt. Er ist nicht mein Freund. Ich habe schon einen Freund, in Neustadt. Lucky heißt er. Das ist der Junge, den ich liebe, und Orion kann tun, was er will.«
    Lucky. Ich versuchte sein Bild heraufzubeschwören, das Gefühl seiner Nähe. Das braune Haar, seine schönen Augen. Lucky, der mir gesagt hatte, dass ich hübsch war. Lucky, dem es nichts ausmachte, dass ich keine langbeinige Vorzeige-Schönheit war, der mich mochte, wie ich war. Lucky, der mich auf dem Dach geküsst hatte. Lucky, der Einzige, der mich liebte.
    »Ich habe ihn im Stich gelassen«, sagte ich. »Ich bin durchs Tor gelaufen und habe ihn zurückgelassen.« Und dann weinte ich, ich konnte nichts dagegen machen, denn ich versuchte ihn zu sehen, seine Stimme zu hören, aber es ging nicht.
    Er war nicht hier, er stand nicht hinter mir, küsste mich auf den Nacken und flüsterte mir zu, wie gut ihm der See gefiel. Er war so weit fort, dass es mir den Atem verschlug, und ich wusste nicht, wie ich mein Herz dazu bringen sollte, weiterzuschlagen.
    »Oh, Pia«, sagte Jeska, und dann sang sie das Lied von den Schwänen, sang es für mich, und ihre erdigen Hände umklammerten meine, als wären Liebe und Verrat ein Ungeheuer, aus dessen Schlund sie mich herausziehen konnte.
    »Wo sind meine alten Sachen?« Ich durchwühlte die Körbe nach meinem dunkelblauen Rock, der blauen Bluse, die ich zugunsten der Tarnkleidung aufgegeben hatte.
    »Ich habe sie gewaschen und weggelegt«, sagte Ricarda. »Ich wollte das Oberteil umfärben, aber der Rock ist unpraktisch. Den Stoff können wir zum Ausbessern von anderen Sachen gebrauchen.«
    »Du hast sie gewaschen?«, fragte ich entsetzt. Die Blume. Die Blume, die Lucky mir geschenkt hatte. Ich hatte sie in meine Tasche gesteckt, und sie war zerdrückt und verwelkt, aber ich hatte trotzdem gehofft, dass etwas davon noch da wäre. Ein Duft. Eine Erinnerung. Denn Lucky liebte mich, und das musste ich festhalten, musste es einschließen, es bewahren, irgendwie.
    Orion und Lumina, die sich am Seeufer küssen, unter den regenschweren Ästen … Nein. Ich wollte dieses Bild nicht sehen, ich wollte es übermalen, Farbe darüberpinseln, eine so dicke Schicht, dass es verschwand. Diesen Schmerz zu empfinden war, als würde ich Lucky ein zweites Mal verraten.
    Der Rock, hier. Die Gesäßtasche. Ich fasste hinein, und da war tatsächlich etwas Kleines, Hartes. Ein Stängel. Mehr nicht. Von der Blume war nichts als ein brauner Stängel übrig geblieben, den Ricarda beim Waschen übersehen hatte. Vielleicht war es etwas übertrieben, wegen einer Blume zu weinen, die verwelkt war und von der nichts mehr da war, nur etwas Braunes, das aussah wie eins von Bennis Hölzchen, aber ich konnte nichts dagegen tun. Nichts gegen die Schluchzer, die aus mir herausbrachen, nichts gegen die Tränen, die aus meinen Augen quollen. Zusammengekrümmt lag ich auf meiner Matte und heulte mir die Seele aus dem Leib.
    »Pia«, begann Ricarda vorsichtig.
    »Lass mich in Ruhe!«
    Sie ging. Irgendwann, als ich mich schon fast wieder beruhigt hatte, spürte ich eine Hand auf meiner Schulter.
    »Du sollst mich doch in Ruhe lassen!« Ich sah

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