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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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auf.
    Benni schien durch mich hindurchzusehen. Seine Augen waren groß und dunkel, er hatte beinahe solche Augen wie Lucky.
    Ich schluchzte wieder los, aber diesmal bemühte ich mich, etwas leiser zu sein, um ihn nicht zu erschrecken.

    Tagsüber verbarg ich die Sehnsucht tief in mir. Ich schluckte sie herunter, sodass sie in meinem Magen saß und dort schwelte und rauchte wie eins dieser verräterischen Kochfeuer. Manchmal tat es so weh, dass ich nicht atmen konnte.
    »Es geht vorüber«, sagte Alfred zu mir. Eigentlich hatte ich nach Gabriel gesucht, und war dabei auf unseren Oberdoc gestoßen, der in seiner kleinen Medikamentenkiste kramte.
    »Was geht vorüber?«
    »Der Schmerz.« Er sprach mit einer Selbstverständlichkeit darüber, als könnte er mir geradewegs ins Herz hineinsehen. »Wen auch immer du vermisst, es wird besser, das verspreche ich dir.«
    »Woher willst du das wissen?«, fragte ich.
    »Sie haben mich aus Neustadt hinausgeworfen. Hast du dich nie gefragt, wen ich zurücklassen musste? Aber nein, Mädchen. Wenn man ein wundes Herz hat, fragt man nicht danach, was andere fühlen. Die ganze Welt dreht sich bloß um dein Herz, es ist die Sonne, um die alle Planeten kreisen.«
    Ich wollte mich schuldig fühlen, aber nicht einmal das konnte ich. Er hatte recht. Was andere durchmachten, interessierte mich im Moment nicht.
    »Man ist allein«, fuhr Alfred fort. »Ein einsamer Stern in der Nacht. Ha, ich höre mich an wie ein Dichter! Lass dir eins gesagt sein, Pia. Was du fühlst, haben schon unzählige andere Menschen vor dir gefühlt, und so manch einer ist daran zugrunde gegangen. Aber du nicht. Würdest du dem Jäger, der vor dir steht, vor die Flinte springen? Nein? Dann hast du dich schon für das Leben entschieden.«
    »Ich will nicht sterben«, brachte ich heraus. »Ich will nur, dass er hier ist, bei mir. Und wenn das nicht geht … dann will ich zurück.«
    Er seufzte. »So ist es also ausgesprochen. Du willst zurück nach Neustadt. Aber das meinst du nicht ernst. Denn wenn du darüber nachdenkst, wirst du begreifen, dass das, was du dir vorstellst, unmöglich ist. Denn sobald du dort bist, werden sie dir wieder die Glücksgabe geben, und dann wirst du das, was du dir erträumt hast, sowieso nicht genießen können. Du wirst deine Familie wiedersehen oder deinen Freund … und es wird dich ein bisschen glücklich machen, aber nicht sehr. Es wird nur ein müdes, gedämpftes, totes Glück sein, und du wirst nicht einmal mehr begreifen können, dass du einen Fehler gemacht hast. Aber da Neustadt sowieso niemanden mehr zurücknimmt, können wir uns die Sorgen über das Wenn sparen, nicht wahr? Um etwas an deinem Unglück zu ändern, müssten wir die Zäune niederreißen, die Glücksfabrik in die Luft sprengen und die Regs zum Teufel jagen. Siehst du? Du bist nicht die Einzige mit wagemutigen Träumen.«
    Etwas in Alfreds Stimme ließ mich aufhorchen.
    »Wie meinst du das?«, wollte ich wissen.
    Alfred lächelte nur. »Ich träume von einer neuen Welt, so wie wir alle. Aber was kümmert dich das? Du bist allein mit deinem Schmerz. Du bist eine brennende Sonne im All.« Er breitete die Decke aus, für den nächsten Patienten. »Jedenfalls bist du nicht hier, um dir meine Spinnereien anzuhören.«
    »Wie kann man so leben?«, fragte ich. »Wie kann man das aushalten, immer auf der Flucht zu sein? Sich zu verkriechen? Warum packt ihr nicht eure Zelte und verschwindet ganz von hier?«
    »Wohin denn?«, fragte Alfred zurück. »Es gibt nur wenige zusammenhängende Waldgebiete, die uns überhaupt Schutz bieten können, und was nützt es uns, wenn wir in die Nähe einer anderen Regierungsstadt geraten? Paulus baut eine eigene Siedlung, weiter unten im Süden. Eine Stadt, die sich verteidigen kann. Die eines Tages groß genug ist, um Handel mit Neustadt und Glücksstadt zu treiben. Er hofft, den Regs irgendwann so viel bieten zu können, dass sie es sich zweimal überlegen, ob sie nicht mehr davon profitieren, wenn sie uns am Leben lassen.«
    »Na, viel Glück«, sagte ich bitter. Wie sollte man denn irgendetwas bauen, wenn jederzeit ein Hubschrauber mit Mördern an Bord landen konnte?
    »Paulus glaubt noch an das Gute im Menschen. An Verträge. An Profit. Er glaubt, wenn wir den Regs etwas anbieten können, was sie sonst nirgends bekommen, sind wir in Sicherheit. Aber bis dahin sollen wir uns im Widerstand gegen die Jäger zurückhalten. Also muss man hinnehmen, dass sie uns abschlachten, um Schlimmeres zu

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