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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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verhindern. Darin liegt tatsächlich eine gewisse Logik.«
    »Auf der Glut der Rache kann man sich kein Essen kochen.«
    »Von wem hast du das denn?«
    »Von Jeska.«
    »Sie ist weise, deine kleine Schwester.« Sein gequältes Lächeln verriet ein wenig zu viel.
    »Ich hätte nie gedacht, dass es hier genauso ist wie in Neustadt. Dass Leute, die sich querstellen, vor die Tür gesetzt werden.«
    Sein intensiver Blick bewirkte, dass mir heiß wurde. Was war denn so Besonderes daran, was ich gesagt hatte?
    »Du hast es erfasst. Wir leben hier nach Neustädter Gesetzen. Nur ahnen das die meisten nicht, weil sie nicht so wie du frisch aus Neustadt kommen. Es gibt Wahrheiten, die sind hier nicht beliebt. Also behalte deine Meinung lieber für dich.«
    Ich hatte das deutliche Gefühl, dass dieses Gespräch damit beendet war. »Bevor ich es vergesse – ich wollte Gabriel ausrichten, dass meine Mutter eine Jacke für ihn näht. Er soll zur Anprobe kommen.«
    Alfreds Lächeln verblasste. »Und da suchst du ihn bei mir?«
    In diesem Moment polterte Orion herein. Mit der Rechten hielt er seinen linken Unterarm umfasst. »Tag, Pia.« Freundlich wie immer. »Wenn du dir das mal kurz ansehen könntest, Vater?«
    Wie selbstverständlich er Alfred so nannte. Glühender Neid erfasste mich. Orion hatte mit Neustadt abgeschlossen, im Gegensatz zu mir.
    »Gütiger Gott! Was ist passiert? Bist du verletzt? Deine Schulter? Ich hab dir gesagt, du sollst beim Trainieren nicht so übertreiben!«
    Blut tropfte aus Orions Ärmel. »Alles halb so wild. Dieses verdammte Vieh hat mich gebissen.«
    »Ein Wolf?«
    »Nein, bloß eine Wildkatze. Ich hätte nicht versuchen sollen, sie mit bloßen Händen zu fangen.« Er lachte und zog sein Hemd aus. »Hast du noch was gegen Tollwut?«
    Ich hätte gehen sollen, aber ich blieb. Ich schaute zu, diesmal wandte ich den Blick nicht ab. Vielleicht war es ungehörig, aber ich konnte nicht anders. Seine breiten Schultern. Die rote Narbe, dort, wo er angeschossen worden war. Die glatte Haut. In seinem Nacken war sein sonst so glattes schwarzes Haar leicht gewellt.
    Die Bisswunde war tief und blutete stark. Kopfschüttelnd schleppte Alfred Tücher herbei. »Hilf mal kurz mit, Pia. Halte das. – Was in aller Welt wolltest du mit einer Wildkatze? Sie schmecken nicht, das kann dir jeder hier sagen.«
    »Ich will sie ja nicht essen. Vielleicht kann man sie abrichten. Zur Jagd auf Vögel und Eichhörnchen.«
    »Du hast sie tatsächlich gefangen?« Alfred ging darüber hinweg, dass Orion das verpönte Wort »Jagd« benutzt hatte. Er wusste längst, dass sein neuer Sohn sich nicht um Paulus’ Regeln scherte.
    Ich musste den Blick von Orions strahlendem Lächeln abwenden. Hitze schoss mir bis unter die Stirn, dann kam eine Welle von Kälte über mich. Ich wollte in diesem Strahlen baden, mich hineinlegen wie ins Gras unter der Sonne, in es hineintauchen. Ich wollte, dass es mir galt, nicht einer Wildkatze. Mir allein. So sehr wollte ich es, dass es sich anfühlte, als hätte ich Fieber.
    Da ich es nicht ertrug, ihm ins Gesicht zu sehen, konzentrierte ich mich auf das, was ich von seinem Körper vor mir hatte. Seine muskulösen Arme. Sie waren nicht übertrieben dick, man konnte gerade so erahnen, wie stark er war. Ich betrachtete die Vollkommenheit seiner Haut, die von blutigen Stellen unterbrochen wurde.
    Leise fluchend desinfizierte Alfred die Wunde.
    »Das müssen wir nähen. Verdammt noch mal, Orion, denkst du nie nach? Man kann auch auf andere Weise sterben als im Kampf. Manchmal reicht eine winzige Infektion, und ich hab nichts mehr gegen Tetanus, seit die Regs mein voriges Zelt zerbombt haben.«
    Er war mir so nah, dass sein Duft das ganze Zelt ausfüllte. Wald. Nasse Erde. Gras. Der Himmel voller Regen und die Sonne. Die Bäume draußen waren längst nicht mehr so grün wie seine Augen.
    Mir wurde schwindelig. Ich schwankte, stützte mich an ihm ab. Meine Finger berührten seine Haut. Es durchfuhr mich wie ein Blitz, eine Welle aus Schmerz und Verlangen, die über meinem Kopf zusammenschlug. Mit fast übermenschlicher Anstrengung riss ich mich von ihm los.
    Lucky, dachte ich automatisch. Ich will Lucky, ich brauche Lucky. Ich muss nach Neustadt, zu Lucky. Ich baute ein Bollwerk aus Luckys Namen gegen die Versuchung, Orion erneut anzufassen. Mich vorzubeugen und meine Stirn gegen ihn zu lehnen, meine Arme um ihn zu schlingen, den Duft seiner Haut einzuatmen. Seine Wärme zu spüren, seine Stärke …
    »Pia?

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