Wild (German Edition)
Hause, mein Heimweh. Dieser Wunsch, endlich wieder zurückzukommen und wieder ich zu sein, dieser bittere, schmerzende Wunsch, der mich zerriss. Lucky. Und bitte nichts mehr fühlen, nie wieder irgendetwas fühlen.
»Sie weiß nichts«, meldete Happiness sich wieder zu Wort. »Wenn, würde sie es Ihnen sagen.«
Gesegnet seiest du, graugewandete Regierungsbeamtin, für deine unaussprechliche Ignoranz.
»Wenn sie tot ist, werden sie bezahlen«, flüsterte Truth Mozart. »Sie alle.«
Trotz des Entsetzens, das mich überkam, gelang es mir, den freundlichen, törichten Blick beizubehalten.
Hätte ich lieber behaupten sollen, Savannah würde noch leben? Sollte ich ihr schildern, wie ich Orion davon abgehalten hatte, die Jägerin zu erwürgen, und wie Orion Gabriel überzeugt hatte, sie könnte eine nützliche Geisel sein? Sollte ich damit drohen, ihre Tochter könnte getötet werden, wenn die Regs neue Jäger schickten? Sollte ich vielleicht gar den Vorschlag machen, dass sie mich und meine Eltern und Lucky gehen lassen sollten, im Austausch für das Kind des Glücksministers? Aber ich wusste nicht, ob Savannah noch lebte. Und wie das Ganze funktionieren könnte, ohne dass meine Freunde dort draußen niedergeschossen wurden.
»Wo sind sie?«, fragte Happiness. »Ihr gehört zu Paulus, stimmt’s? Welche Untergruppe?«
»Untergruppe?«, fragte ich blöde.
»Du weißt schon. Hirsche, Rehe, Wildschweine. Was?«
Wenn ich zum Beispiel den Wildschweinen die Schuld gab und die Jäger diese Gruppe suchten und umbrachten, würde ich damit leben können? Ich befand mich in der Zwickmühle; was auch immer ich sagte, war falsch.
»Ach so. Die Damhirsche«, antwortete ich. »Sie haben sich Damhirsche genannt.«
»Wo sind sie? Am See ist niemand mehr.«
»Ich weiß nicht …« Ich rieb mir die Schläfen. »Ich glaube, sie haben es erwähnt. Aber ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern.«
Truth Mozart nickte. Sie war nicht zufrieden, aber sie brachte ein Lächeln zustande. »Danke, meine Liebe. Du darfst jetzt wieder zurück in deine Klasse gehen. Wenn es dir wieder einfällt, bekommst du den Mantel. Hier, ein kleiner Vorgeschmack.« Sie überreichte mir einen nagelneuen Tom. Das neueste Modell in einem so hellen Rosa, dass er beinahe weiß war. Sobald ich ihn berührte, leuchtete er auf und die Worte erschienen: »Du hast einen Kredit von dreihundert Mariolen im Haus Kids-for-freedom! Herzlichen Glückwunsch!«
Bevor ich meine Dankbarkeit beteuern konnte, bugsierte Happiness mich schon zur Tür.
Also ging ich zurück in meine Klasse, an Luckys Tisch vorbei, an seinem Zwinkern, seinem verschwörerischen Lächeln, zu Moon.
Ein Gefühl, als würde ich in der Falle sitzen.
33.
Gandhi hatte sich wieder in den kumpelhaften, immer leicht ironischen Lehrer verwandelt, und es war mir unmöglich, ihn zu fragen, warum er mich vor der Befragung gewarnt hatte. Ich spielte die leicht tumbe Pi, wie er es mir empfohlen hatte, und das war mit ein Grund, warum ich nicht einfach umschalten und die nachdenkliche, misstrauische, unzufriedene Pi geben konnte. Er war wie immer. Ich hatte das Gefühl, dass es Gandhi sehr wichtig war, dass alles wie immer war. Die Schule nahm mich wieder in sich auf, es war, als würde ich mich darin auflösen wie Süßstoff. Ich funktionierte wie alle anderen. Ich lachte und machte Hausaufgaben mit Moon. Vielleicht war ich, wie Charity bemerkte, ein bisschen weniger trübsinnig als sonst, und sogar Merkur versuchte, mit mir zu flirten und mich hinter den Säulen in der Sporthalle zu küssen.
Er und Lucky verstanden sich im Moment prächtig.
So wie Moon und ich. Als hätte es nie Feindschaft zwischen uns gegeben. Als hätte der Sommer sich, genauso wie ich, aufgelöst im Glücksstrom, der unablässig durch Neustadt floss.
Nach einer Woche musste ich wieder zum Schularzt, und mit einer Heftigkeit, die mich selbst überraschte, wünschte ich mir, dass es diesmal klappte. Dass die Welle die Gefühle dämpfte und meine klaren Gedanken zerfaserte – wobei ich die Fähigkeit, meine Hausaufgaben selbst zu machen, gerne behalten hätte. Aber den Fluch, mich an jedes Detail zu erinnern, wäre ich gerne wieder losgeworden. Die Nächte, in denen der Schlaf nicht kam und stattdessen Benni vor mir saß und die Hölzchen von einer Hand in die andere legte. Sein schmales Gesicht war blass, die Augen groß und ängstlich, die Haare struppig.
Manchmal war es auch Marty.
Marty, der wissen wollte, was mit seiner
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