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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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Schwester passiert war.
    Manchmal waren sie es beide gleichzeitig, Benni und Marty, und dann dachte ich: Träume ich? Was für Träume sind das? Könnt ihr mich nicht in Ruhe lassen?
    Sie konnten es nicht. Auch Jeska kam zu mir, und ihre Besuche brachten mich zum Lächeln. Wir streiften gemeinsam durch den Wald und gruben Wurzeln aus. Seltsamerweise träumte ich nie von Orion. Dafür waren die Toten da und brachten die Geräusche ihres Sterbens mit. Keine Bilder – Bilder schreckten mich schon lange nicht mehr. Es war das Knacken und Knirschen, das ich nicht los wurde und das die Stille der Nacht wählte, um mich heimzusuchen.
    In anderen Träumen war ich wieder am See. Kleine, schlanke Hirsche mit golden gesprenkeltem Fell grasten am Ufer. Die Wellen spülten um meine Füße, durchnässten meine Schuhe. Ich bin da, sagte Jakob hinter mir und ich lachte, weil er wie ein Hirsch aussah, ein besonders hübscher, schwarzer Hirsch, den Moon an einem Strick mit sich führte.
    Die Träume vom See waren noch schlimmer als die von den sterbenden Jägern, denn danach erwachte ich und wollte jedes Mal weinen. Jeska hatte recht gehabt mit ihrem Steinhaufen. Der See war unser Heim, unser Zimmer und unser Garten, und wohin wir auch gingen, er würde immer da sein und auf uns warten, so wie er auf die Wildgänse wartete.
    Dr. Aristoteles begrüßte mich freudestrahlend, während ich noch schwankte zwischen panischer Angst und Hoffnung, dass all dies endlich aufhörte und ich zu Hause war, wo auch immer das sein mochte. Dort, wo alle Gefühle endeten.
    »Na, wie geht es dir heute?« Geschäftig zog er Schubladen auf und ließ sie wieder zuschnappen, sprach Notizen auf seinen Computer, scrollte sich durch Akten.
    »Gut, wie immer«, log ich, denn ich fühlte mich schlechter denn je.
    »Dann wollen wir den Glücksstrom mal nicht abreißen lassen, was?« Er wählte meine Inject-Ampulle aus der großen Wochenschublade. Der Inhalt schimmerte grünlich, was mich irritierte. All die Jahre hindurch war die Flüssigkeit bräunlich gewesen.
    »Bekomme ich jetzt eigentlich etwas anderes als früher?«, wollte ich wissen und verbannte jede Aufregung aus meiner Stimme.
    »Nein, wieso? Wie kommst du darauf?«
    »Weil Dr. Händel nicht mehr da ist.«
    »Oh, aber das ist doch Unsinn«, versicherte er. »Wir bekommen die Ampullen vom Pädagogischen Institut, und die richten sich wiederum nach den Untersuchungsergebnissen, die der jeweilige Arzt dort hinleitet. Bei Schuleintritt wurde dein Bedarf festgestellt, und dann bei Beginn der Pubertät angepasst. Alle paar Jahre gibt es eine Kontrolluntersuchung. Du bist siebzehn? Dann bist du in vier Jahren, wenn du einundzwanzig wirst, wieder an der Reihe. Es sei denn natürlich, dass du etwas zur Beruhigung oder so brauchst?«
    »Nein«, sagte ich. »Nein, ich dachte nur.«
    »Denken ist Glückssache.« Er lachte heiter, setzte mir die Spritze an den Arm, ein kleiner Pieks, fertig. »Sag mal, Peas, noch was.« Dr. Aristoteles überflog meine Akte. »Ich sehe, dass du gar keinen Antrag auf Verhütungsmittel gestellt hast. Woran liegt das? Hast du immer noch keinen Freund?«
    »Nein«, antwortete ich. »Bis jetzt wurde mir niemand zugeteilt.«
    »Das muss ein Versehen sein. Nach deinen Unterlagen gibt es keinen Grund, warum du nicht am Partnerprogramm teilnehmen solltest. Ich werde gleich einen Bericht losschicken. Hast du deine Liste nicht ausgefüllt, als du siebzehn geworden bist?«
    »Doch, habe ich.« Nur Luckys Name stand darauf. Damit würden sie nicht viel anfangen können. »Die sind alle schon weg, fürchte ich.«
    »Macht nichts.« Wie er strahlte, der gute Doktor, im Begriff, etwas Gutes zu tun. »Wir finden schon jemand Passendes, keine Sorge.«
    Als ich ging, wartete ich schmerzhaft darauf, nichts mehr zu fühlen, aber ich wusste schon, dass es nicht passieren würde. Das Rätsel war endlich gelöst. Meine Glücksgabe hatte immer eine andere Farbe gehabt, also hatte ich immer etwas anderes bekommen als die anderen – kein Glück, sondern eine graue Wolke. Warum auch immer, irgendetwas hatten sie in meinen Genen gefunden, das sie beunruhigte. Das es notwendig machte, mir eine stärkere Dröhnung zu verpassen als allen anderen. Und nun wusste ich auch, warum. Dies musste die normale Glücksgabe sein, und bei mir wirkte sie nicht.
    Ich spürte nicht die geringste Veränderung zu meinem Leben in der Wildnis.
    Doch jetzt war ich hier, denkend und fühlend, und laut meiner Akte stand mir sogar ein

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