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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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Schwierigkeiten brachten.
    »Und du?«, fragte ich gereizt. »Du wirst bloß wieder Party machen und mit allen Mädels flirten.«
    »Ja.«
    Es gab noch mehr fremdartige Luckys, von denen ich nichts gewusst hatte, nicht nur den zornigen und den energiegeladenen, sondern auch einen traurigen Lucky, über dessen Gesicht Schatten wanderten und sich in seinen Wimpern verfingen. »Ja«, wiederholte er leise, sehr leise, und entzog sich damit meinem Zorn. »So wird es sein.«
    Ich wagte einen erneuten Blick auf den Streifen Dunkelgrün am Horizont.
    »Und wenn Orion die richtige Entscheidung getroffen hat?«, begann er erneut. »Wir kennen den Glücksstrom. Aber wir wissen so gut wie nichts über die Wildnis.«
    »Er kommt heute sowieso nicht raus. Sie werden das Tor nicht für Luther öffnen«, sagte ich. »Luther ist tot. Orion wird ganz umsonst warten. Er wird jemandem auffallen, sie werden ihn erkennen und dann … aber das haben wir ja schon durchgesprochen.«
    »Gar nicht so einfach, hier rauszukommen«, sagte Lucky heftig, während er den Zaun betrachtete. »Wofür so ein Aufwand, wenn wir doch alle so glücklich hier sind?«
    »Die Sicherheitsmaßnahmen haben einen anderen Grund. Sie müssen verhindern, dass die Wilden hier einfallen«, sagte ich.
    »Da steht niemand am Zaun und bettelt, hier reingelassen zu werden, oder?«
    In seiner Stimme schwang eine ungewohnte Schärfe mit, und ich ertappte mich dabei, wie ich ihn anstarrte.
    »Denkst du wirklich darüber nach, dich den Behörden zu stellen, damit sie dich nach draußen schicken?«
    Er zögerte viel zu lange. Das war Antwort genug. Er dachte nicht an mich und nicht an Star, nicht daran, was das für uns bedeuten würde. Er dachte nur an sich selbst.
    »Und Moon?«
    Er starrte mich eine Weile an, als hätte auch ich mich in eine Fremde verwandelt. »Ach ja, Moon«, sagte er, mit seiner neuen Stimme, mit diesen neuen Gefühlen, die ich nicht deuten konnte. »Wie konnte ich bloß Moon vergessen?«
    Die Art, wie er mich ansah, erfüllte mich mit Unbehagen. Wie klar und durchdringend seine braunen Augen waren. Hatte ich überhaupt gewusst, welche Farbe sie hatten? Ins warme Haselnussbraun mischten sich winzige grüne Sprenkel. War mir je diese kleine Falte in seiner Unterlippe aufgefallen? Ich rieb mir die Oberarme; plötzlich war mir kalt.
    »Warum sind wir wirklich hier?«, fragte ich. »Willst du Orion davon abhalten wegzulaufen, oder willst du mit ihm zusammen rüber?«
    »Pi«, sagte er leise, »ich weiß nicht, wie ich …«
    Ich unterbrach ihn, denn ich wollte nicht mehr hören. Kein einziges Wort. »Wir müssen weiter.«
    Er nahm meine Hand, aber die Berührung durchfuhr mich wie eine Welle aus kochendem Wasser, und erschrocken riss ich mich los. Einem Teil von mir wurde heiß, Wärme flutete durch meinen Bauch, schoss wie Nadeln durch meine Haut. Plötzlich wünschte ich mir so sehr, ihn anzufassen, dass es kaum auszuhalten war. Ihn festzuhalten. Ihn und seine verräterischen Gedanken. Orion konnte machen, was er wollte, aber Lucky sollte bei mir bleiben.
    Ich sah ihn nicht mehr an.
    Wir rannten mit letzter Kraft. Manchmal streifte mich sein Ärmel, und ich machte mich so schmal wie möglich, um ihn nicht zu berühren.
    »Da ist es«, keuchte Lucky und blieb so abrupt stehen, dass ich gegen seine Schulter prallte.
    Eine Straße führte durch das Brachland auf den Zaun zu, von zwei schnurgeraden glänzenden Streifen durchzogen. Das mussten die Schienen für die Lebensmittelwaggons sein. Ansonsten sah sie ganz gewöhnlich aus, glatt und asphaltiert, nur dass sie nicht zwischen den Häusern herausführte, sondern aus einem Gebäude, das wie eine übergroße Lagerhalle wirkte. Die gigantischen Hallentore standen offen, Lastwagen und kleinere Autos fuhren hin und her, und dazwischen wuselten in helle Uniformen gekleidete Menschen herum. Einige grelle Strahler beleuchteten die Szenerie.
    »Wächter«, flüsterte Lucky. »So viele. Was tun sie da?«
    Irgendetwas wurde da verladen. Gabelstapler rollten aus den Toren, die lauten Stimmen der Männer hallten bis zu uns herüber. Eine dunkle, gebückte Gestalt löste sich aus dem Schatten eines Lastwagens und huschte ein paar Meter weiter.
    »Das ist Orion! Wir sind zu spät.«
    »Bleib hier«, sagte Lucky. »Ich hole ihn.«
    Er schaute sich um, dann lief er auf die Lagerhalle zu. Ohne nachzudenken folgte ich ihm. Geduckt rannte ich durch das Licht, zum Schatten, den ein hoher Mast warf, und presste mich eng daran.

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