Wild (German Edition)
schon gehört? Ein paar von den Männern gehen zurück ins alte Lager. Falls irgendetwas Nützliches das Feuer überstanden hat, werden sie es herbringen. Und das Beste ist: Sie wollen Bennis Spielsachen mitbringen! Dann wird er sich endlich beruhigen.«
»Was?«, fragte ich entsetzt. »Aber es heißt doch, dass die Regs zurückkommen, wenn jemand von ihnen gestorben ist. Die Jäger könnten im alten Lager sein!«
»Sie haben Bomben abgeworfen und eine Frau erschossen«, sagte Jeska. »Niemand von ihnen wurde getötet, also haben sie keinen Grund, nochmal dort aufzukreuzen. Sie haben einen Teil unseres Lagers zerstört und damit erreicht, was sie wollten. Und, die Hauptsache, sie haben Alfreds Zelt erwischt.«
»Der ganze Aufwand, nur für sein Zelt?«, fragte Orion. »Gönnen die Regs euch keinen eigenen Arzt?«
Mir machte etwas ganz anderes Sorgen. Gabriel hatte einen Jäger umgebracht. Wie konnten die Männer zurück zum alten Lager gehen, wenn dort vielleicht wütende Leute auf sie lauerten, die Rache wollten, Leute mit Hubschraubern und Bomben?
»Wo ist Gabriel?«, rief ich. »Was sagt er dazu?«
»Gabriel ist gar nicht da«, antwortete Jeska. »Paulus war sauer auf ihn und hat ihn losgeschickt, um die Fallen zu überprüfen.«
Was war mit den anderen, die dabei gewesen waren? Der hagere Mann, dessen Namen ich vergessen hatte. Die hübsche Lumina. Hatte denn keiner von ihnen Einspruch erhoben?
Ich musste sofort zu Paulus, damit er die Gruppe zurückholen ließ! Dann fiel mir ein: Das ging nicht, denn Gabriel hatte uns alle Stillschweigen schwören lassen.
Du kannst Gabriel nicht verraten, sagte Lucky zu mir.
Ich weiß, beruhigte ich ihn. Keine Sorge. Ich lasse mir was einfallen.
»Ich … hab was vergessen«, stammelte ich und hetzte zum Lager zurück, sehr zum Erstaunen von Orion und Jeska, die mir irgendetwas nachriefen.
Zum Glück war die Gruppe noch nicht aufgebrochen. Von Paulus war nichts zu sehen, aber ich fand Jakob vor, der sich gerade von Ricarda erklären ließ, was er für Benni mitbringen sollte.
»Kann ich mal kurz mit dir sprechen?« Ich vergaß meine Scheu vor dem finsteren Jakob und zerrte ihn am Ärmel von den Zelten weg, weiter unter die Bäume. »Ihr dürft nicht gehen!«
»Und warum nicht?«, erkundigte er sich.
»Weil die Regs da sein werden!« Nur mit Mühe dämpfte ich meine Stimme.
»Ach«, sagte Jakob bloß.
Er schwieg, und ich schwieg auch.
Es reichte nicht; ich musste deutlicher werden.
»Und wenn ich einen Jäger getötet hätte?«, flüsterte ich. »Wenn sie da wären, um auf mich zu warten?«
Über uns trommelte der Regen immer stärker auf die Blätter.
»Du?«, fragte er schließlich, eine Frage wie ein heiseres Lachen. Die Nachricht regte ihn nicht besonders auf. Im Gegenteil, mein Geständnis schien ihn zu amüsieren.
»Ja.«
»Wie denn?«
»Ich hab mich auf ihn gestürzt, und er ist unglücklich gefallen und hat sich das Genick gebrochen.«
»Wenn das wahr wäre, würde Paulus dich verbannen«, sagte Jakob gelassen. »Aber es ist nicht wahr, also geh mir aus dem Weg.«
Er schob mich einfach beiseite und ging.
Am Nachmittag war Gabriel immer noch nicht zurück. Ricarda schickte Jeska und mich zum Beerensammeln aus, was mir gar nicht recht war, denn Paulus hatte angekündigt, dass er heute endgültig über Orions Verbleib in der Gruppe entscheiden würde.
»Wahrscheinlich will er die Zeit nutzen, solange Gabriel aus dem Weg ist«, meinte Jeska fröhlich, während sie sich eine Handvoll Blaubeeren in den Mund stopfte.
»Die zwei sind sich nicht ganz grün, was? Warum tragen sie eigentlich die gleiche Plakette? Hat das was zu bedeuten?«
»Oh, das.« Ein Schatten flog über ihr Gesicht, gefolgt von einem Leuchten. »F steht für Freiwild. N für Neustadt. Die Regs haben Paulus diese Kette umgehängt. Sie haben ihm das Kreuz auf die Stirn tätowiert und ihn dann laufenlassen, zum Abschuss freigegeben.«
»Wie furchtbar! Sie hatten ihn erwischt?«
»Er war lange Zeit ihr Gefangener. Erst danach, als er zurückkam, wurde er unser Anführer. Denn er kennt die Jäger am besten. Sie wollten ihm Angst einjagen, aber sie haben sich einen Feind geschaffen. Die Kette hat er behalten. Er hat sie umbenannt. Jetzt steht das F für Freiheit und das N für die neue Welt, von der wir träumen. Eine Welt, in der sie nicht die Jäger sind und wir nicht das Wild.« Sie klang sehr erwachsen, als sie das sagte, und ich erriet, dass dieser Satz wie eine Art Lied war,
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