Wild und frei
ein
Sakima
und Krieger gegenübertreten.
Indem er gegen seine Erschöpfung ankämpfte, richtete er seinen Willen darauf, seine Glieder auszustrecken, sich zu rühren. Erst da erkannte er zu seinem Entsetzen, dass er sich nicht bewegen konnte. Sein Körper war von oben bis unten mit einem Netz aus Tuchstreifen an dem Rahmen des Bettes festgebunden, auf dem er lag. Einzeln, vermutete er, waren sie so dünn, dass ein Mann sie leicht zerreißen konnte. Aber als Ganzes war er durch sie geradeso eingezwängt wie durch die eisernen Fesseln zuvor. Seine Arme waren seitlich am Körper festgebunden, seine Beine flach auf dem Bettgestell. Er war und blieb ein Gefangener.
Black Otter sank zurück auf das Kissen, entschlossen, keine Kraft zu verschwenden, bis er alles durchdacht und einen Plan entwickelt hatte. Als er allmählich klarer denken konnte, spürte er ein prickelndes Gefühl an der Wade des einen Beines – ein seltsames Kribbeln, das er zuerst nur als lästig empfand, dann machte es ihn stutzig, und schließlich kam es ihm vor, als ob ein kleines Tier unter dem leichten Tuch, das ihn bedeckte, an seinem Fleisch nagte. Black Otters Herz zog sich zusammen, als er an die Ratten dachte.
Mit großer Selbstbeherrschung hob er den Kopf vom Kissen, schnappte eine Falte des Tuches mit den Zähnen und fing an, es nach oben zu zerren. Stück für Stück zog er es immer höher, während sich durch die Anstrengung seine Nackenmuskulatur verspannte. Schließlich konnte er seine bloßen Füße erkennen, dann seine Knöchel, die in dunkel verfärbten Stoff eingewickelt waren. Ein kräftiger Ruck, und seine durch Blutergüsse entstellten Beine wurden sichtbar. Da sah er die dunklen leberfarbenen Fleischklumpen, die an seiner Haut hingen. Ihm drehte sich der Magen um, als er erkannte, was das war.
Blutegel!
Beileibe nicht die kleinen, harmlosen wurmartigen Tiere, die in den Flüssen und Teichen seiner Heimat lebten. Dies waren Ungeheuer, ein jedes länger und dicker als sein Daumen. Und sie hatten sich mit Blut vollgesogen – mit seinem Blut!
Black Otter atmete heftig, sosehr erfüllte ihn diese Entdeckung mit Ekel. Ratten, Blutegel … Was waren diese Weißen nur für Menschen, die Tiere benutzten, um ihre Gefangenen zu foltern und zu quälen? Als ein Krieger war er bereit, Schmerzen zu ertragen. Aber hier still liegen zu müssen, während diese abscheulichen Tiere ihm den Lebenssaft aus dem Körper saugten …
Der Drang, diese Blutsauger abzureißen, überkam ihn, und er versuchte, sich hin und her zu wälzen. Aber die Befestigungen waren von geschickten Händen gemacht. Er konnte sich kaum bewegen, und die Blutegel würde er so schon gar nicht abstreifen können. Eine Welle von Abscheu und Empörung übermannte ihn, er war aufgewühlt von Wut, Kummer und einer Verzweiflung, die ihn so tief bewegte, dass es schließlich aus seinem Innersten herausbrach, und er einen markdurchdringenden Schrei ausstieß.
Rowena befand sich im Moor oberhalb der Klippen und sammelte wilden Fenchel, als sie den Schrei hörte. Sie erstarrte. Die Todesqual, nach der dieser ferne Ruf klang, schnitt ihr ins Herz. Sicher ein Tier, dachte sie. Ein armes Geschöpf, das über die Felskante gefallen war und nun mit diesem Schrei ins Meer und in den sicheren Tod stürzte.
Aber der Schrei war nicht von der See her gekommen, das wurde ihr plötzlich klar. Er war vom Haus gekommen.
Achtlos ließ Rowena den Korb mit den Kräutern fallen, raffte ihre Röcke und rannte zum Haus. Während der vergangenen beiden Tage hatte sie sich gezwungen, die Wünsche ihres Vaters hinsichtlich des Wilden zu respektieren. Aber die ganze Zeit konnte sie sich des Gefühles nicht erwehren, dass eine Tragödie unmittelbar bevorstand. Nun, so gellte die Stimme des Verstandes in ihr, hatten sich ihre Befürchtungen bewahrheitet.
Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie über die Schwelle rannte, durch die Halle und die Treppe hinauf. Ein Schrei – das war alles, was sie gehört hatte. Aber was für ein Schrei war das gewesen! Es lagen so viel Wut und Seelenqual darin, dass selbst die Erinnerung daran ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Als Rowena den oberen Flur erreichte, sah sie Sir Christopher aus der Richtung seiner eigenen Kammer herbeieilen, wobei er sich hastig das Hemd in die Hose stopfte. Sie seufzte vor Erleichterung, als sie ihn sah. Zumindest war ihrem Vater nichts geschehen. Aber was war mit dem Wilden? Was hatte der Schrei zu bedeuten?
Sie erreichten den
Weitere Kostenlose Bücher