Wild und gefaehrlich
Jenny hatte ihm leidgetan – sie war so liebenswürdig, es war ganz schrecklich, sie vor allen so gedemütigt zu sehen. Noch ein Grund mehr, Easy zu verabscheuen. Als ob Brandon noch mehr Gründe nötig hatte! Was hatte sich dieser Cowboy dabei gedacht, Callie zu dem Essen mit seinem Vater mitzuschleppen? Großer Gott. Jeder Idiot hätte ihm flüstern können, was für eine Schwachsinnsidee das war.
»Dein Shirt gefällt mir«, sagte Brandon. Etwas anderes fiel ihm nicht ein. »Rettest du auch Wale?«
»Wenn ich nicht zu viel Hausaufgaben habe«, erwiderte sie und ließ die Hand über das Geländer gleiten.
Brandon lächelte. Das Mädchen war ziemlich keck, was er sehr anregend fand. Wenn er nicht so betrunken gewesen wäre, hätte er versucht, einen Tick geistreicher zu sein. Er ärgerte ihn, dass ihm nichts Schlaues einfiel, was er sagen konnte, aber dieses Muttermal auf ihrer linken Wange raubte ihm schier den Verstand.
»Äh … möchtest du die Tunnel vielleicht sehen?«, fragte er schließlich.
»Die berühmten Tunnel?« Ihre Augen begannen zu leuchten. »Wahnsinnig gern.«
»Cool.« Brandon gab seinen vom Alkohol müden Beinen den Befehl, die Treppe nach unten in Angriff zu nehmen, und Elizabeth folgte ihm in den Abstellraum, in dem die Tür zu den Tunneln weit offen stand.
»Das ist fast so cool wie die Underground Railroad , diese Fluchthilfe zur Zeit der Sklaven!«, flüsterte sie. Offensichtlich war sie beeindruckt.
Brandon fingerte nach seiner Taschenlampe und knipste sie an.
Schnell legte ihm Elizabeth die Hand auf seine. »Damals, bei der Underground Railroad , hatten sie auch keine Taschenlampen. Lass sie aus.« Sie trat in den düsteren Tunnel. Vorsichtig tastete sie sich die Stufen hinunter und verschwand in der Dunkelheit.
»He, warte!« Brandon folgte ihr beklommen. »Hatten die damals nicht wenigstens Kerzen? Irgendwas hatten sie bestimmt.« Er trat in den Tunnel und spähte in die Dunkelheit.
Eine kleine Flamme drang durch die Finsternis, erleuchtete Elizabeths Gesicht und formte einen Heiligenschein um ihren Kopf. »Vielleicht hatten sie nicht gerade Zippos, aber für uns ist das wohl okay.« Wenn überhaupt möglich, dann sah ihr Gesicht in dem flackernden Licht des Feuerzeugs noch hübscher aus.
»Wohin willst du gehen?«, fragte Brandon. Ihm fiel auf, dass sie beide ziemlich leise sprachen, und ihre Worte hallten in den ausgedehnten, stillen Gängen wider. Mit Elizabeth war es hier unten so viel cooler als mit den albernen Jungs.
Elizabeth sah zur Decke hoch und nahm einen Schluck von ihrem Bier. »Ich hab meine Vespa im Gebüsch versteckt, an dem Torhaus oder was das ist. Du weißt schon, das verfallene Gebäude am Eingang des Campus. Wir könnten uns also in die Richtung aufmachen.« Sie hielt Brandon ihren Becher hin. »Willst du einen Schluck?«
Brandon nahm den Becher. Vor ihm tauchte ein Bild aus dem Audrey-Hepburn-Film Ein Herz und eine Krone auf, und seine üblichen Bedenken, sich beim Trinken aus fremden Bechern mit ekligen Keimen zu infizieren, wurden fortgewischt. Er nahm einen Schluck von ihrem Bier. »Eine Vespa?«
»Ist dir das zu hippiemäßig, Armani?« Sie zupfte anzüglich an seinem Pullover. Woher wusste sie, dass er von Armani war?
»Um genau zu sein, ich hab eher vermutet, dass du ein Hybridauto fährst. Aber deine Motorradjacke aus Leder hat mich irritiert.«
Elizabeth beugte sich vor. »Sei jetzt nicht entsetzt«, flüsterte sie, »die ist aus Kunstleder .«
Brandon grinste. Es gefiel ihm, dass dieses Mädchen nicht aus der Inzuchtgesellschaft von Waverly kam. Selbst wenn sie was mit Jeremiah laufen hatte, der ja was mit Brett laufen hatte, die wiederum... Brandon schob diese äußerst verwirrenden Gedanken beiseite. »Woher hast du eigentlich gewusst, dass Jeremiah hier ist?«
Sie wirkte verlegen, ließ ihr Zippo zuschnappen, und sie waren in Dunkelheit getaucht. »Ich bin kein Stalker. « Schweigen. »Er hat’s mir gesagt.«
»Hm... ihr beide seid zurzeit gar nicht fest zusammen, oder?« Irgendwie war es im Dunklen leichter, danach zu fragen. Das Licht, das aus dem Abstellraum von Dumbarton in den Tunnel drang, lag weit hinter ihnen, und Brandons Augen mussten sich an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnen, ehe er in der Dunkelheit Elizabeths Umrisse ausmachte.
»Nein!« Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen und Brandon entspannte sich ein wenig. »So war es sowieso nicht.« Beide gingen weiter, als wüssten sie genau den Weg. »Wir
Weitere Kostenlose Bücher