Wild wie das Meer (German Edition)
diente, deinen Onkel zu demütigen. Aber wenn du ohnehin beabsichtigst, nach Virginia zurückzukehren, dürften dir die Vorgänge hier gleichgültig sein. In deiner Heimat weiß niemand, was sich in England zugetragen hat.“ Doch er wusste, wie erbärmlich sein Versuch war, die Dinge nüchtern zu betrachten.
Sie reckte das Kinn empor, aber sie sprach so leise, dass er ihre Worte kaum verstehen konnte. „Wenn wir wirklich ein Liebespaar wären, würdest du meinen Ruf mit allen Mitteln verteidigen, und niemand würde je etwas von der Affäre erfahren.“
Natürlich hatte sie recht. „Ich weiß nicht, wo da der Unterschied liegen soll“, log er. „Es gibt keine andere Möglichkeit.“
„Es gibt immer eine andere Möglichkeit, Devlin. Selbst wenn du mich so rücksichtslos ausnutzt, was gibt dir Anlass zu der Vermutung, dass sie zahlen werden, auch wenn sie Sweet Briar verkaufen oder sich das Geld anderweitig leihen?“, rief sie.
Er umklammerte den Türknauf und mied ihren Blick, denn er konnte ihren anklagenden Augen nicht mehr standhalten. „Es wird eine Angelegenheit der Ehre werden“, sprach er. „Sie werden zahlen, dafür werde ich sorgen.“ Rasch stahl er sich aus dem Raum, als könnte er dadurch den hässlichen Plan vergessen, den er gefasst hatte. Ein Plan, der Virginia Hughes ein für alle Mal ruinieren würde.
Virginia hatte Angst. Nun stand außer Zweifel, dass Devlin so besessen von seiner Rache war, dass nichts und niemand ihn aufhalten konnte. Genauso traurig war die Erkenntnis, dass Sean ganz falsch gelegen hatte – es war ihr nicht möglich, seinem Bruder den heilsamen Weg ins Licht zu weisen, denn wenn Devlin noch nicht ganz verloren wäre, hätten ihn gewiss Schuldgefühle geplagt. Aber sie hatte keinerlei Anzeichen eines schlechten Gewissens an ihm bemerkt – alles, was sie gesehen hatte, war eine grimmige Entschlossenheit.
Sie wusste nicht mehr weiter. Eigentlich müsste sie ihn hassen, da er sie erneut wie eine Gefangene hielt. Sie müsste ihn hassen, da er sie den Leuten als seine Mätresse vorzuführen gedachte, doch sie verspürte keine Hassgefühle. Er tat ihr nur unendlich leid.
Ihr fröstelte, und sie stellte sich vor den prasselnden Kamin.
Lange starrte sie in die tänzelnden Flammen, doch alles, was sie sah, war Devlin. Abermals blieb ihr nichts anderes übrig, als sein Spiel nach seinen Regeln mitzuspielen und abzuwarten, was daraus würde. Gleichwohl war sie stark genug, das auszuhalten. Es kümmerte sie tatsächlich kaum, was die Gesellschaft von ihr hielt. Dann versteifte sie sich.
Warum nicht klüger handeln als er? Warum spielte sie das Spiel nicht mit, um zu gewinnen!
Sie wollte ihre Freiheit und Sweet Briar zurückerlangen, aber das war nicht das, was sie sich im Grunde ihres Herzens wünschte. Hatte sie den Mut, sich selbst einzugestehen, wonach sie wirklich strebte? Unglücklicherweise war das, was sie am meisten begehrte, die Liebe ihres Entführers.
Als sie sich bewusst machte, was sie wirklich von ihm wollte, schien ihr Herz einen Schlag lang auszusetzen. Die Knie wurden ihr weich, und sie fühlte sich mit einem Mal schwach. Erschrocken suchte sie Halt an einer Stuhllehne und sank dann zitternd auf die Chaiselongue. Wie konnte sie bloß so töricht sein?
Hoffte sie etwa, das Unmögliche würde in Erfüllung gehen?
Viel wichtiger war jedoch, ob sie überhaupt den Mut hatte, ihn so weit zu bringen, dass er sie von Herzen liebte.
Sie nagte am Winkel der Unterlippe und spürte die Tränen, die in ihren Augen brannten. Sie hielt sich nicht für eine Schönheit, auch wenn er sie gewiss anziehend fand. Zudem war sie keine feine Dame, was ihm nur allzu bewusst sein musste. Wieso bildete sie sich dann ein, diesen Mann für sich gewinnen zu können?
Irgendwann in der ganzen Zeit, die zwischen der Überfahrt auf der „Americana“ und dem Aufenthalt in Wideacre lag, hatte sie sich in Devlin O’Neill verliebt, und von diesem Augenblick an war nichts mehr so gewesen wie sonst. Ihr blieb keine Wahl. Ihr blieb nichts anderes übrig, als alles daran zu setzen, seine Seele zu retten – und um seine Liebe zu kämpfen.
Als Virginia nach unten ging, war sie sehr ernst und nachdenklich. Ihre Schritte waren unsicher, da sie immerzu ihren neu gefassten Plan vor Augen hatte. Ihr hatte sich eine ganz neue Sichtweise aufgetan.
„Haben Sie einen Wunsch, Miss Hughes?“
Als sie Mrs. Hills feste Stimme vernahm, die herablassend und unterwürfig zugleich klang, erschrak
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