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Wild wie das Meer (German Edition)

Wild wie das Meer (German Edition)

Titel: Wild wie das Meer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Joyce
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Vormund verfügt, seine Nichte müsse von nun an die Marmott Schule in Richmond besuchen. Virginia vermochte sich kaum daran zu erinnern; vor einem halben Jahr hatte sich ein Schleier aus Kummer und Schmerz über ihr Dasein gelegt. Eines Tages hatte sie sich in dieser Schule wiedergefunden, obwohl sie sich nicht erinnern konnte, wie sie dorthin gelangt war. Dunkel entsann sie sich, dass sie und Tillie sich beim tränenreichen Abschied umarmt hatten. Als der erste Kummer ein wenig nachgelassen hatte, hatten sie und Tillie sich Briefe geschrieben – Sweet Briar lag achtzig Meilen südlich von Richmond, nur wenige Meilen von Norfolk entfernt. Virginia erfuhr, dass ihr Onkel ihren Besitz verwaltete und angeordnet hatte, alles solle so verbleiben wie vor dem Tod seines Bruders.
    Immer wenn sie an Tillie dachte, überkam Virginia schreckliches Heimweh. Das Verlangen, nach Hause zurückzukehren, war plötzlich erdrückend. Sie war achtzehn Jahre alt, und viele junge Frauen ihres Alters waren bereits verlobt oder standen als verheiratete Frau einem eigenen Haushalt vor. Ihre Eltern hatten das Thema Ehe nie angeschnitten, wofür Virginia ihnen dankbar gewesen war. Sie wusste nicht recht, was mit ihr nicht stimmte, aber sie hatte nie einen Gedanken an Heirat – oder junge Männer – verschwendet. Stattdessen hatte sie von ihrem fünften Lebensjahr an immer an der Seite ihres Vaters gearbeitet, genau genommen von dem Tag an, als Randall Hughes sie vor sich auf sein Pferd gehoben hatte. Sie kannte jeden Zollbreit von Sweet Briar, jeden Baum, jedes Blatt, jede Blume – die Plantage umfasste nur hundert Acre und nicht fünftausend, aber das brauchte sie Sarah Lewis ja nicht auf die Nase zu binden.
    Virginia wusste alles über den Tabakanbau, über die Sorte, die ebenfalls Sweet Briar hieß: wann und wie man die vorgezogenen Pflänzchen aufs Feld brachte, mit welcher Methode die geernteten Blätter am besten getrocknet wurden und in welchen Auktionshäusern die besten Preise erzielt wurden. Genau wie ihr Vater hatte sie immer die Preisentwicklung pro Ballen mit großem Eifer verfolgt – und voller Hoffnung. Jeden Sommer pflegten sie und ihr Vater über die Tabakfelder zu gehen, begutachteten die Blätter, atmeten das reiche Aroma ein und stellten Mutmaßungen über die Qualität der Ernte an.
    Natürlich hatte sie auch andere Pflichten übernehmen müssen. Niemand war gütiger als ihre Mutter gewesen, die sich wie keine Zweite mit Kräutern und Heilverfahren auskannte. Und niemand hatte sich mehr um die Sklaven gekümmert. Unzählige Male hatte Virginia zugesehen, wie ihre Mutter Fieberkranke behandelte. Nie hatte sie Angst gehabt, in die Schlafquartiere der Sklaven zu gehen, wenn jemand krank war – tatsächlich konnte sie hervorragende Breiumschläge auflegen. Obwohl ihre Mutter ihr nicht erlaubt hatte, bei Geburten zugegen zu sein, hatte Virginia in den Stallungen gesehen, wie Fohlen zur Welt kamen. Manch eine Nacht hatte sie darauf gewartet, dass eine trächtige Stute ihr Junges zur Welt brachte. Warum sollte sie also jetzt nicht daheim sein und Sweet Briar gemeinsam mit dem Vorarbeiter, James MacGregor, führen? Sie war wie geschaffen für die Leitung der Plantage. Sweet Briar pulste in ihren Adern, war wie ein Teil von ihr.
    Sie wusste, dass sie keine Dame war. Sie trug Breeches, seit sie wusste, dass es welche gab, und seither mochte sie Hosen lieber als Röcke. Ihren Vater hatte das nicht gestört – er war stolz gewesen auf seine Tochter, auf ihre offene Art, ihre Reitkunst, den wachen Geist. Und er hatte sie schön gefunden; immer hatte er sie seine kleine wilde Rose genannt, doch jeder Vater mochte so von seiner Tochter denken. Virginia wusste, dass ihr Vater bei ihrem Aussehen übertrieb. Sie fand sich zu dünn, und sie hatte zu viel ungebändigtes Haar, um jemals als hübsch zu gelten. Nicht, dass es ihr etwas ausgemacht hätte. Sie war bei Weitem zu klug, um eine feine Dame sein zu wollen.
    Ihre Mutter hatte das Einvernehmen, das zwischen ihrem Mann und ihrer Tochter bestand, stets toleriert. Virginias Brüder waren beide kurz nach der Geburt gestorben, zunächst Todd und später Charles. Damals war sie sechs Jahre alt gewesen. Von da an hatte ihre Mutter zum ersten Mal anders über die Breeches, das Reiten und die Jagd gedacht. Mehrere Wochen hatte sie den Tod ihrer Kinder beklagt, in der Familienkapelle gebetet und irgendwann den inneren Frieden gefunden. Danach waren ihr Lächeln und ihre natürliche Wärme

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