Wild wie das Meer (German Edition)
sagte sie mit zitternder Stimme.
„Wahrscheinlich“, pflichtete Sean ihr bei.
„Sie schienen beide entsetzt, als sie erfuhren, dass ich Eastleighs Nichte bin“, wunderte Virginia sich.
Er tat ihre Bemerkung mit einem Schulterzucken ab.
„Ich habe das schon ein Dutzend Mal gefragt. Warum tut Devlin das? Er braucht das Geld nicht. Und du weigerst dich, mir eine Antwort zu geben. Also frage ich jetzt, warum Lady de Warenne derart erschüttert ist. Warum ist sie bei der Erwähnung des Namens Eastleigh beinahe in Ohnmacht gefallen?“, bedrängte sie Sean.
Er wirkte angespannt.
„Harold Hughes war einst Befehlshaber in der britischen Armee.“
Virginia hatte keine Ahnung, worauf er anspielte. „Was soll das mit mir zu tun haben – und mit deinem Bruder?“
Sean sah sie düster an. „Er diente in Irland, Virginia. Er war der Mann, der unseren Vater ermordete, als wir Kinder waren.“
Virginia entfuhr ein Schrei des Entsetzens. Ihr schwindelte. Sean musste sie stützen, und sie klammerte sich an seinen Arm. „Es geht um den Tod eures Vaters?“
„Ja, und auch darum, dass mein Bruder geradezu besessen davon ist.“
Und mit einem Mal begriff sie. „Großer Gott, hier geht es nicht um Lösegeld, sondern um Rache!“
Er nickte ernst. „Devlin hat den Earl seit Jahren mit Berechnung in den Ruin getrieben. Dem Mann ist nur ein einziges Anwesen geblieben, das wenig Rendite abwirft. Er kann sich das Lösegeld nicht leisten, und wenn er es versucht, so wird er gezwungen sein, das Letzte zu verkaufen, was ihm geblieben ist. Dann ist er am Ende, Virginia, und mein Bruder wird als Sieger dastehen.“
Wie benommen starrte sie ihn an. „Und er wird zahlen?“
„Es wird eine Frage der Ehre sein.“
„Welcher Mann zerstört das Leben einer unschuldigen Frau, um seinen Vater zu rächen?“, fragte sie wie betäubt.
„Mein Bruder“, gab Sean betroffen zu. Er ergriff ihre Hand und umschloss sie fest. „Er hat dein Leben nicht zerstört. Du erwartest kein Kind.“ Bewusst sprach er mit gedämpfter Stimme. „Er wird dich nicht erneut in dieser Weise berühren, das verspreche ich. Schon recht bald wird all dies vorüber sein.“
Virginia sah in Seans Gesicht, doch aus einem unerfindlichen Grund sah sie nicht ihn, sondern Devlin, und jetzt dämmerte ihr, warum seine Augen diese Kälte besaßen, warum ihm jegliches Mitgefühl und jegliche Freundlichkeit fehlten. Er war kein gewöhnlicher Mensch. Er war wie besessen von dem Gedanken der Rache, und offensichtlich scheute er vor nichts zurück, um sein Ziel zu erreichen. „Und wie steht es um seine Karriere? Gewiss wird er vor ein Kriegsgericht gestellt, da er mich entführt hat.“
Sean zögerte. „Devlin hat Eastleigh schon des Öfteren zum Narren gehalten. Der Earl ist zu stolz, um sich an die Behörden zu wenden.“
Virginia wurde still. Ihr kam der Gedanke, dass sie die Macht hatte, Devlin O’Neills Niedergang einzuleiten. Und das schien auch Sean zu ahnen, denn er studierte aufmerksam ihr Gesicht.
Unvermutet betraten Mary und der Earl wieder den Salon. Die Countess weinte nicht mehr. Beide sahen sehr ernst aus, doch Mary zwang sich zu einem Lächeln. „Bitte, mein Kind, kommen Sie nach draußen und leisten Sie mir ein wenig Gesellschaft. Es ist so ein angenehmer Abend.“
Virginia hätte am liebsten eine Ausrede vorgebracht, denn sie ahnte sehr wohl, dass Mary das vertrauliche Gespräch mit ihr suchte. Flehentlich sah sie Sean an, doch der zuckte bloß die Achseln. Da ihr keine andere Wahl blieb, begab sie sich mit Mary de Warenne auf die Terrasse. Die Countess blieb an der Balustrade stehen und wandte sich Virginia zu.
„Mein Kind“, sprach sie weichherzig, „wie kann ich wieder gutmachen, was mein Sohn Ihnen angetan hat?“
Virginia musste ihr in die Augen sehen. Das Mitgefühl dieser Frau brachte sie aus der Fassung. „Es ist nicht Ihr Fehler.“
Für einen Moment vermochte Mary nichts zu sagen. „Ich liebe meine beiden Söhne von ganzem Herzen. Ich wünsche mir, dass ihrem Leben Frieden und Freude beschieden ist. Hier in Irland ist es sehr schwer, ein solches Leben zu erlangen. Sean, denke ich, hat bereits viel erreicht. Aber Devlin? Er fuhr zur See, als er noch ein junger Bursche war. Ich habe ihn seitdem kaum zu Gesicht bekommen. Er hat sich für ein freudloses Leben entschieden, ein Leben auf hoher See, ein Leben voller Zerstörung, Krieg und Tod. Er lebt mit seinem Schmerz und hat sich vor der Welt verschlossen. Er öffnet sich
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