Wilde Chrysantheme
ihre Nachthaube, weil sie nicht schäbig aussehen darf, wenn sie die richtige Sorte Männer anlocken will. Und in den fünf Pfund war noch nicht mal das Geschenk enthalten, das sie Madame geben musste, um sie bei Laune zu halten.«
»Wenn sie all diese Dinge nicht von ihren Zuhältern kaufen müßten, dann könnten sie sicher ein paar Groschen beiseite legen«, hielt Juliana dagegen.
»Aber das sind nun mal die Bedingungen, unter denen sie die Räume mieten, wo sie arbeiten«, erklärte Emma mit betont geduldiger Miene, als ob sie einem Kind höchst simple Zusammenhänge erklärte.
»Vielleicht müßten sich alle weigern, diese Bedingungen zu akzeptieren; dann könnte es uns gelingen, genug Geld zu sammeln, um es ihnen für diese notwendigen* Anschaffungen zu leihen. Sie wären damit von den Zuhältern und Bordellwirtinnen nicht mehr so abhängig.«
»Mir scheint, daß du hier an eine gewaltige Menge Geld denkst«, warf das dunkelhaarige Mädchen ein, das an einem Fingernagel kaute.
»Geld ist der Schlüssel zu allem«, belehrte Rosamund sie düster. »Ich wüßte wirklich nicht, wie wir das bewerkstelligen sollten, Juliana.«
»Es ist nicht so sehr das Geld, sondern vielmehr die Solidarität«, widersprach Juliana beharrlich. »Du würdest dich wundern, wie schnell eine relativ große Summe zusammenkommen würde, wenn alle bereit wären, soviel beizusteuern, wie sie können. Aber es müssen sich alle daran beteiligen. Alle sollten bereit sein, sich gegenseitig beizustehen und zu unterstützen. Wenn wir das erreichen, könnten wir uns gegen die Zuhälter und Puffmütter behaupten.«
Wieder senkte sich skeptisches Schweigen über den Raum, und Juliana erkannte, daß sie noch hart zu kämpfen haben würde. Diese Frauen waren derart an ein Leben der Ausbeutung und Machtlosigkeit gewöhnt, daß sie die Vorstellung, eine gewisse Unabhängigkeit zurückzugewinnen, gar nicht begriffen. Sie öffnete ihren Pompadour und nahm die restlichen zwanzig Pfund heraus.
»Hiermit begründe ich unseren Fonds.« Sie legte den Geldschein auf den Tisch.
»Aber, Juliana, warum solltest du etwas dazu beisteuern?« fragte Lilly verwundert. »Du bist keine von uns. Im Grunde bist du es nie gewesen.«
»O doch, ich gehöre durchaus dazu«, sagte sie fest. »Meine Position ist zwar etwas anders, etwas gesicherter, aber ich bin trotzdem in eine Situation hineingeraten, die ich mir nicht aussuchen konnte,weil ich ohne Freunde und allem ausgeliefert war. Ich bin genauso ausgebeutet worden wie jede von euch. Und hänge ebensosehr von dem Wohlwollen eines Mannes ab, der sich zwar niemals als mein Louis bezeichnen würde – aber im Grunde hält auch er mich aus.«
Juliana blickte unwillkürlich zum Fenster hinüber, als sie dies sagte, plötzlich voller Angst, sie könnte den Herzog von Redmayne dort stehen sehen. Sie wagte gar nicht daran zu denken, wie er reagieren würde, wenn er sich mit einem solch unschönen Ausdruck bezeichnet hörte. Denn er war kein Mann, der die ungeschminkte Wahrheit schätzte, was seine eigene Beurteilung anlangte.
»Wir sollten deinen Plan mit den Mädchen in den anderen Häusern besprechen«, schlug Lilly vor. »Sollte niemand sonst bereit sein mitzumachen, dann wird es nicht funktionieren. Allein können wir es nicht schaffen.«
»Nein«, pflichtete Juliana ihr bei. »Es muß eine richtige Schwesternschaft werden.«
»Schwesternschaft«, sagte Rosamund versonnen. »Das Wort gefällt mir. Die Bedeutung gefällt mir. Wirst du mit uns kommen, um die anderen ins Bild zu setzen, Juliana? Du klingst so überzeugend… so sicher. Und es war ja auch deine Idee.«
Juliana nickte. »Aber nicht heute.« Sie sagte nichts davon, daß sie gut daran tat, schleunigst nach Hause zurückzukehren. Eine längere Abwesenheit würde unweigerlich dem Herzog zu Ohren kommen, aber ein kurzer Aufenthalt an der frischen Luft in seiner persönlichen Sänfte würde in ihrem gegenwärtigen Stadium der Übereinstimmung wahrscheinlich nicht mehr als einen Seufzer und eine hochgezogene Braue zur Folge haben.
»Es wäre das beste, wenn wir die Mädchen zusammentrommeln«, sagte Emma. »Wir sollten eine Benachrichtigung herumschicken mit einem Treffpunkt und einer Uhrzeit.«
»Wo können wir uns treffen?« Aller Augen wandten sich Lilly zu, die die Rolle der geborenen Anführerin übernahm.
»Im >Bedford Head<«, sagte sie, ohne zu zögern. »Wir werden Mistress Mitchell bitten, uns das Hinterzimmer für einen Vormittag zu
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